Der Totenschmuck
ein, wie du in dem schrecklichen, kalten Schnee gestanden bist, in dem Schnee, der alles, was wir in jenen Wochen erlitten hatten, noch zu verschlimmern schien. Als wir in den Schneeflocken beieinanderstanden, hast du gesagt: ›Vielleicht komme ich zu Besuch, im Frühling.‹ Heute Mittag bin ich im Hyde Park spazieren gegangen. Das Gras ist jung und grün und überall schien das Leben tröpfchenweise zurückzukehren, wie ein süßer Sirup, der alle Lebewesen durchströmt. Überall blühten Osterglocken, die mir nicht etwa zuwinkten und auf und ab hüpften, sondern sich vor mir zu verneigen schienen. Die Obstbäume standen in voller Blüte, die Zweige der Kirschbäume sahen mit ihren schweren Blüten aus wie Wattebäusche.«
Er hatte ein Wort durchgestrichen, dahinter stand: »Es ist Frühling, eindeutig. Es ist Frühling.«
Und als hätten diese schönen Worte ihm Mut gemacht, hatte er seinen Namen in Schnörkelschrift daruntergesetzt: »Dein Ian.«
Dreizehn
Die Braut blieb kurz am Ende des Mittelganges im Türbogen stehen. Vielleicht war es das Sonnenlicht, das sich hinter ihr gesammelt hatte, weshalb sie neben ihrem Vater in der Luft zu schweben schien, dachte Sweeney, während der Hochzeitsmarsch von Wagner den Saal erfüllte. Ihr Kleid war strahlend weiß, und der lange mit Perlen bestickte Schleier hüllte sie in eine Nebelwolke ein.
Sie erhoben sich. Als Katie und ihr Vater am Ende des Ganges erschienen, wurde Sweeneys Blick unwillkürlich von dem Bräutigam angezogen. Er stand neben dem Pfarrer, erwartungsvoll der Sonne zugewandt. Der Anblick seiner Braut zauberte ein breites Lächeln auf sein Gesicht.
Die Gäste beobachteten, wie Katie und ihr Vater langsam und untergehakt zum Altar schritten. Als sie Milan erreichten, hob Katies Vater den Schleier, küsste sie auf die Wange und ließ ihn wieder herabsinken. Sie wandte sich vertrauensvoll ihrem Bräutigam zu und trat in einen Lichtkegel auf dem roten Läufer. Die Musik verstummte, und die Gäste setzten sich wieder. Es war mucksmäuschenstill in der Kirche. Der Pfarrer ergriff das Wort.
Katie und Milan hatten sich in London kennen gelernt. Er kam aus Kroatien, sein Elternhaus war am Anfang des Jugoslawienkrieges zerstört worden. Ein Nachbar war in seinen Armen gestorben, er war in die Armee eingetreten und hatte sich für noch mehr Tote zu verantworten. Als alles vorbei
war, hatte er ein Stipendium für die Londoner Wirtschaftsuniversität erhalten und seine amerikanische Prinzessin getroffen, die für eine Investment-Bank in London gearbeitet hatte. Sweeney fragte sich, wo sich die beiden über den Weg gelaufen waren. Sie waren so verschieden, dass Sweeney sich nur schwer vorstellen konnte, dass der Funke tatsächlich übergesprungen war. Aber sie waren ein harmonisches Paar. Sie war vor ein paar Monaten bei ihnen zu Hause in Back Ray zum Abendessen eingeladen und von ihrem Umgang miteinander sehr beeindruckt gewesen. Katies ruhiges, fast mütterliches Wesen war noch besonnener und glücklicher geworden, als Sweeney es aus Collegezeiten in Erinnerung gehabt hatte. Sie hatte gekocht und die Weingläser nachgeschenkt. Milan hatte Sweeney in seinem korrekten, allerdings von einem starken Akzent durchsetzten Englisch nach ihrer Arbeit gefragt, von seiner Weinsammlung erzählt und seine Augen geschlossen, wenn eine von ihm besonders geliebte Passage klassischer Musik aus der Stereoanlage geschallt war.
Sweeney musterte sein Gesicht. Eine Wolke musste den Weg der Sonnenstrahlen durch die blinden Glasfenster gekreuzt haben, denn der Lichtstrahl, der das Paar beschienen hatte, verschwand und ließ sie auf dem schäbigen Teppich stehen.
»Die Ehe ist eine Vertrauensangelegenheit«, sagte der Geistliche. »Wir kehren der leichtfertigen Liebe den Rücken, ohne zu wissen, was die Zukunft für uns bereithält. Aber wir geben ein Versprechen und lassen dieses Versprechen wirklich werden. Katie und Milan geben sich heute das Jawort, nicht für die vorhersehbare Zukunft oder für die guten Zeiten, sondern für immer, für den Rest ihres Lebens, und dieses Versprechen ist es, das sie zusammenhalten wird, wenn sie mit Schwierigkeiten konfrontiert werden, wenn Traurigkeit in ihr Leben tritt, was unweigerlich der Fall sein wird, wenn sie sich streiten und sich nicht mehr daran erinnern können, welche Gefühle sie heute hier miteinander teilen.«
Sweeney musste an einen der Dauerstreite ihrer Eltern denken, ein Jahr bevor sie und ihre Mutter zu Hause ausgezogen
Weitere Kostenlose Bücher