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Der Totenschmuck

Titel: Der Totenschmuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stewart Taylor
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hatte, die Sweeneys Großvater so gerne gemocht hatte.
    Sweeney ging dem Wind entgegen und freute sich über die salzige Brise, die er ihr ins Gesicht wehte. Sie war immer noch müde, und die kalte Luft machte sie munter, brachte Leben in ihre Hirnzellen, kurbelte ihr logisches Denkvermögen an. Letzte Nacht war sie so müde gewesen, dass sie ihre Unterhaltung mit Kitty Putnam nicht mehr ganz rekapituliert hatte. Was hatte es zu bedeuten, wenn Kitty davon wusste, dass jemand aus ihrer Familie Brad in der Mordnacht vermutlich an sein Bett gefesselt hatte? Und was steckte eigentlich dahinter, dass Brad in den Wochen vor seinem Tod so besorgt um den Trauerschmuck gewesen war? Und dass er den Schmuck getragen hatte, als er starb?
    Er hatte an jenem Tag in ihrem Büro diesen Schmuck erwähnt. Sie hatte sich erkundigt, wie er mit seinem Projekt vorankomme. Was hatte er geantwortet? Dass alles gut lief, meinte sie. Sie hatte ihm angeboten, es mit ihm durchzusprechen, wenn ihm das helfe. Er hatte sich bedankt und ihr dann diese merkwürdige Frage gestellt, ob er eine bestimmte Information preisgeben solle.
    Sie versuchte sich daran zu erinnern, was er sonst noch gesagt hatte. »Ich habe mich gefragt, ob Ihnen jemals, wenn Sie etwa über einen Grabstein forschen, Informationen untergekommen sind, die jemandem schaden könnten, die aber wichtig sein könnten.« Das war’s; er hatte wissen wollen, ob
er Informationen offen legen sollte, die jemandem Schaden zufügen konnten.
    Er hatte mit »vielleicht« geantwortet, als sie hatte wissen wollen, ob seine Frage mit einem Grabstein in Zusammenhang stand. Also handelte es sich unter Umständen um etwas, das im Zuge seiner Nachforschungen über den Schmuck zu Tage getreten war.
    Hatte er versucht, ihr etwas mitzuteilen? Und sie hatte ihn im Stich gelassen, weil sie nicht darauf gekommen war, was er gemeint hatte?
    Sie erreichte das Teehaus auf dem Grundstück von Alva Vanderbilts Marble House - einer ihrer Lieblingsplätze des Cliff Walks. Der chinesische Pagodentempel war für Teeeinladungen und Empfänge gebaut worden, wozu auch Alva Vanderbilts Zusammenkünfte der Suffragetten-Gesellschaft gezählt hatten. Direkt unterhalb der Pagode war der erste von zwei Tunnels in den Fels gehauen worden. Er war mit Aluminium ausgekleidet, und in seinem Innern war es fast komplett dunkel. Sweeney fröstelte.
    Sie hatte das andere Ende fast erreicht, als sie hinter sich ein Geräusch hörte, Schritte auf dem Kies. Sie drehte sich um, weil sie feststellen wollte, wer ihr folgte. Aber sie konnte niemanden entdecken. Sie war allein in dem Tunnel. Die Wände hatten das Echo ihrer eigenen Schritte zurückgeworfen.
    Aber das hatte ihr einen Schrecken eingejagt. Sie versuchte, ruhig zu bleiben und eilte auf das Sonnenlicht und den hellen Tag zu. Der Ozean war blau und sah verlockend aus, und sie erblickte andere Spaziergänger, die vor ihr gingen. Der Küstenweg war wieder einfach nur der Küstenweg und hatte nichts Unheimliches oder Finsteres an sich.
    Warum hatte sie dann so nervös reagiert?
    Wegen Brad. Ihr war klar geworden, dass Brad umgebracht worden sein könnte, weil er etwas über den Schmuck wusste. Er hatte jemanden derart in Angst und Schrecken versetzt, dass derjenige zum Mörder geworden war.

    Vielleicht sollte sie die Finger von der ganzen Sache lassen. In einer kurzen Rückblende tauchte vor ihrem inneren Auge Vermont auf, die kalte Wand des Flusses, die sich auf sie zubewegte, die schmale Silhouette eines Gewehrlaufs, der aus dem Nebel auf sie zeigte, die Gewissheit, dass sie dort sterben würde. Sie wusste besser als viele, wie weit ein wild Entschlossener bereit war zu gehen, um ein Geheimnis zu wahren.
    Aber dann sah sie Brads Augen, und sie wusste, dass sie herausfinden musste, was er von ihr hatte erfahren wollen. Wenigstens das war sie ihm schuldig.

Sechzehn
    Becca lag in dem schmalen Lichtstreifen, der durch das Schlafzimmerfenster drang, und betrachtete Jaybees Rücken. Seine Haut hatte immer noch etwas von der Bräune eines Farmers, das Überbleibsel eines Sommers auf dem Cape. Mit ihrem Zeigefinger fuhr sie die unscharfe Linie in seinem Nacken und auf der Hinterseite seiner Arme entlang. Sein Rücken war mit alten Aknenarben übersät, die dunkleren Stellen ergaben eine Karte, die sie mit ihrem Finger nachzeichnete. Er rührte sich nicht.
    Er hatte einen tiefen Schlaf, hatte sie herausgefunden. Am Morgen nach ihrer ersten Nacht hatte sie sich zu ihm umgedreht, um sich

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