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Der Totenwächter - Roman (German Edition)

Der Totenwächter - Roman (German Edition)

Titel: Der Totenwächter - Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Farmer
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»Ich wünschte, ich wäre heute Morgen bei dir gewesen. Dieses Vogelwesen, die Stimmen, die Lichter und dann der Einsturz im Eingang der Grabkammer. Du bist nicht der Typ, der sich solche Dinge einbildet. Zumindest müsste ich dich dann in den letzten Jahren falsch eingeschätzt haben. Und nun redet Grace über geheimnisvolle Träume und unser Kapitän erwürgte sich fast mit seiner Krawatte, als ich ihm den Namen Sephrete nannte.«
    »Das ist noch nicht alles.« Linda streckte ihre Beine von sich. Brads Blick entging ihr nicht. Sein Blick streifte ihre glatte Haut. Im Moment war ihr das egal. »Es gibt Übereinstimmungen zwischen Graces Traum und dem, was mir widerfuhr. Um es deutlich zu sagen ...« Sie hüstelte. »Vor einer halben Stunde hing diese Gestalt mit der Goldmaske und den schwarzen Fingernägeln vor meinem Kabinenfenster und versuchte, hier rein zu kommen.«
    »Es hat sich jemand mit dir einen schlechten Spaß erlaubt.«
    Linda sprang auf, drückte Brad zur Seite und zog mit einem Ruck das Fenster in die Höhe. »Schau her!«
    Brad zwängte sich neben sie und schob seinen Kopf vor.
    »Glaubst du wirklich, auf dieser besseren Stahlnaht am Schiffsrumpf könne irgendwer gestanden haben?« Linda trat zurück und überließ Brad das Fenster. Der beugte sich noch weiter vor und suchte den Außenrumpf ab. Er drehte sich zu Linda. »Wenn es ein Scherz gewesen sein sollte, hätte es einen immensen Aufwand bedeutet. Beispielsweise hätte man denjenigen mit einem Seil von oben, vom Deck herunterlassen müssen.«
    »Glaubst du mir oder nicht?« Linda wurde zornig. Sie forderte Unglaubliches von Brad, aber sie forderte es. Nachdem er ihr heute Morgen geglaubt hatte, erwartete sie dasselbe auch jetzt. »Glaubst du mir?« Ihre Stimme klang schrill.
    »Okay, okay.« Brad hob beschwichtigend seine Hände. »Du bist keine Fantastin. Das warst du nie.«
    »Du hast mir noch nicht geantwortet!«
    »Ich muss gestehen - so langsam kann ich mich der seltsamen Stimmung, die Grace und du verbreiten, nicht entziehen.«
    Linda lachte hart. Sie schlug sich vor die Stirn. »Und ich dachte, ich könnte dir vertrauen. Sei ehrlich - du hältst mich für eine Spinnerin.«
    »Nein, aber nein«, wedelte Brad mit den Händen. Sein Gesicht zog sich zusammen, als hätte er in eine Zitrone gebissen. »Verstehe doch.«
    »Was gibt es da zu verstehen?«
    Brad schüttelte den Kopf. Er sah hilflos aus.
    Tränen stiegen in ihr hoch. Sie war so, so, wütend! Sie wollte die Kabine verlassen. Hinaus gehen. In den Sonnenschein. Sich unter einen Sonnenschirm legen und diesen ganzen Kram vergessen ...
    ... als sie die schwarzen Fingernägel bemerkte, die sich hinter Brads Schultern in die Höhe schoben.
     
     

8
     
     
    Obwohl es brütend heiß war, fror Grace.
    Sie schwang sich herum und starrte über die Reling. Der Nil lag still vor ihr. Im sanften Wind segelte eine Feluke an der Karnak Dream vorbei. Ein einzelner Segler steuerte das große Boot. Er hatte es sich am Bug bequem gemacht und rauchte eine Zigarette. Ein Postkartenidyll. Wenn man in Richtung Nil blickte.
    Nichtsdestotrotz spürte Grace die bohrenden Blicke der anderen Touristen in ihrem Rücken. Was geschah? Noch gestern Abend hatten sie alle gemeinsam gelacht, getanzt und getrunken. Nun kam Grace sich vor, als habe sie etwas angestellt. Die Art der Blicke erinnerten sie daran, wie Lehrer starren konnten, wenn sie unzufrieden mit ihren Schülern waren.
    Verstohlen drehte sie ihren Kopf und lugte unter halb geschlossenen Lidern hervor. Diejenigen, die sie aus diesem Blickwinkel sehen konnte, hatten sich keinen Millimeter bewegt und glotzten weiterhin regungslos zu ihr hin.
    Was hatten sie mit ihr vor? Noch vor wenigen Minuten hatte sie mit Brad im Pool geplanscht. Seitdem Brad gegangen war, hatte sich die Stimmung an Bord rapide geändert. Die Mitreisenden musterten Grace nicht nur - nein - es war, als versuchten sie, sie mit Blicken festzunageln.
    Auch wenn sich Grace ziemlich bescheuert vorkam: Sie fühlte sich bedroht.
    Oh Mann - ihre Klassenkameraden würden sich vor Lachen kringeln! Touristen fressen ein nettes hübsches amerikanisches Mädchen mit Blicken auf. So oder ähnlich könnte die Schlagzeile lauten.
    Graces Fantasie machte Sprünge. Impulsiv zog sie das vor der Sonne schützende Badetuch noch etwas höher. Ohne das sie es wollte, kroch sie in sich zusammen, kugelte sich in ihren großen Liegestuhl ein und schloss die Augen. Sie würde ganz einfach nicht mehr hinschauen.

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