Der Toyota Weg
und die Situation richtig zu verstehen (
genchi genbutsu
), erstreckt sich auch auf das Wissen über Kundenwünsche. Es reicht nicht aus, dass Führungskräfte Marketingdaten studieren oder Marketingpräsentationen lauschen und sich eine abstrakte Vorstellung von ihren Kunden machen. Der direkte Verkauf an der Haustür ist ein Weg, um sich in den Köpfen der Kunden zu verankern und ein tiefes Verständnis dafür zu entwickeln, was es für Kunden bedeutet, ein Auto von Toyota zu kaufen.
Der Chefingenieur: Die kritische Schnittstelle zwischen Innovation, Führungskompetenz und Kundenzufriedenheit
In einem traditionellen Automobilunternehmen ist es schwer, festzumachen, wo die eigentliche Verantwortung für die Entwicklung eines neuen Fahrzeugmodells liegt. Zahlreiche Abteilungen und viele Führungskräfte tragen eine Teilverantwortung. Wenn Sie herausfinden wollen, wer bei Toyota die Verantwortung für die Entwicklung neuer Fahrzeuge trägt,machen Sie sich auf die Suche nach dem Chefingenieur – er hat das Sagen. In vielerlei Hinsicht verkörpert der Chefingenieur Toyotas Führungsphilosophie (wie in Kapitel 5 und 6 beschrieben).
Traditionell richtet sich die Bedeutung eines Managers danach, wie viele Abteilungen oder Untergebene ihm direkt unterstehen. Das ist die klassische Hierarchie des Top-Down-Managements. Demnach ist die Position des Chefingenieurs bei Toyota ein sehr unbedeutender Posten. Auch wenn Tausende von Mitarbeitern an dem neuen Entwicklungsprogramm mitarbeiten, sind es vielleicht nur ein halbes Dutzend, die formal an den Chefingenieur berichten. Das hängt damit zusammen, dass Toyota in der technischen Entwicklung in einer Matrixstruktur organisiert ist (siehe Abbildung 15.2 von Cusumano und Nobeoka, 1998). 2
Die Fahrzeugzentren I, II und III konzentrieren sich jeweils auf eine Fahrzeuglinie – Fahrzeuge mit Heckantrieb, mit Frontantrieb und SUVs bzw. Vans. Die funktionsbezogenen Gruppen innerhalb jedes Fahrzeugzentrums, zum Beispiel Karosserie- und Fahrwerkstechnik, sind Spezial(funktions)gruppen, die ihre eigenen General Manager haben. Diese steuern die Ingenieure, indem sie ihnen Projekte zuweisen, die Leistung der Ingenieure bewerten etc. Der Chefingenieur steuert das Fahrzeugprogramm und ist für die Ergebnisse verantwortlich, aber nicht für die Leute, die an dem Projekt mitarbeiten. Der Chefingenieur hängt insofern von allen funktionsbezogenen Gruppen ab, als diese die notwendigen Mitarbeiter für die Projekte abstellen und dafür sorgen, dass diese ihre Arbeit tun. Während es in den USA üblich ist, dass die Autorität der Manager mit ihrer Verantwortung einhergeht, läuft das Chefingenieurssystem dieser Überzeugung zuwider. Diese Rolle wäre den meisten US-Managern daher unangenehm.
John Shook, ehemaliger Toyota-Manager und ein lebenslanger Schüler des TPS, beschrieb mir dieses System als „Verantwortung ohne Autorität“ und als eine gängige Toyota-Praxis. Formale Autorität beginnt bei Toyota üblicherweise eine Stufe über der Verantwortung. Das zwingt die verantwortliche Person, die über keine formale Autorität verfügt, ihre Ideen zu verteidigen, Mitstreiter zu suchen und andere Unternehmensvertreter mit formaler Autorität von ihren Konzepten zu überzeugen. Die einzige Strategie zur Gewinnung von Unterstützung ist die Präsentation der realen Fakten einer Situation vor den Führungskräften, die mit formaler Autorität ausgestattet sind. Dieser Prozess zwingt projektverantwortliche Manager, entweder die Fakten auf den Tisch zu legen und überzeugende Argumente für ihre Position vorzutragen, oder ein Risiko einzugehen und durch nachweisbare Erfolge zu beweisen, dass sie mit ihren Vorstellungen richtig liegen. Bei der Entwicklung des ersten Lexus-Modells verkaufte Ichiro Suzuki den Lexus intern z.B. als ein Modell, das weit über das ursprüngliche Konzept eines Fahrzeugs ausschließlich für den US-Markt hinausreichte. Er strebte Leistungsmerkmale an, die weit über das hinausgingen, was die Verantwortlichen der einzelnen Fachbereiche jemals für möglich gehalten hätten.
Abbildung 15.2
Toyotas Matrixorganisation in der Produktentwicklung
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Warum funktioniert dieses System bei Toyota? Clark und Fujimoto (1991), die ein wichtiges Buch über das TPS geschrieben haben, bezeichneten die Position des Chefingenieurs als die eines „Schwergewichts im Projektmanagement“. Das steht im Kontrast zu US-Unternehmen, in denen Projektmanager oft „Leichtgewichte“ mit
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