Der träumende Diamant 1 - Feuermagie
kahlköpfiger Mann in einem beigefarbenen Umhang nahm Geld entgegen und gab Eintrittskarten aus. Von der Menagerie dahinter konnte Rue nichts als Büsche und Bäume erkennen, die einen schmalen Kiesweg verschluckten.
Etwas - eine Kreatur - stieß ein unirdisches Heulen aus, das ihr auf dem ganzen Körper eine Gänsehaut bescherte. Aus den Baumwipfeln stieg ein Schwarm Spatzen hinauf in den Himmel.
Christoff klopfte mit den Fingerknöcheln aufs Kutschendach. »Fahren Sie weiter.«
Doch Rue wandte sich ihm zu und griff nach dem Halteseil neben ihrem Kopf, als die Kutsche in ein Schlagloch ratterte. »Was machst du denn? Wir müssen da rein.«
»Unser Frühstück ist schon einige Zeit her. Ich weiß nicht, was mit dir ist, aber ich bin an ein Mittagessen gewöhnt.« Er lehnte sich im Polster zurück, und seine hellen Augen glühten. »Und ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist, hungrig dort hineinzugehen. Was meinst du?«
11
Das Heulen war von einer verdreckten Hyäne gekommen. Davon jedenfalls ging Rue aus. Kaum, dass sie sich dem Käfig näherten, gab das Tier einen ähnlichen Ton von sich, auch wenn er nun etwas gedämpfter klang, denn die Hyäne war bei Rues und Christoffs Anblick sofort in eine Holzkiste gesprungen und seitdem nicht wieder herausgekommen. Aber sie hörte nicht auf, zu heulen und zu kreischen, und beobachtete sie durch die Planken hindurch unablässig.
Direkt aus dem dunkelsten Herzen Afrikas. Eines der bösartigsten Untiere im Reich der Natur.
»Das ist unerträglich«, murmelte Rue. Die Hyäne hatte in gleicher Weise auf sie reagiert wie alle anderen Tiere an diesem Ort: lautstark und mit unbändiger Furcht. Das war sogar noch schlimmer als der Gestank.
Sie sprach durch ein Spitzentaschentuch, das sie sich vor die Nase presste.
»Kein Läufer, der noch bei Verstand ist, würde hierherkommen, erst recht nicht, um irgendwo in diesem Dreck den Diamanten zu verbergen.«
»Aber das macht diesen Ort doch zu einem perfekten Versteck«, sagte Christoff, ohne auch nur die Stimme zu dämpfen. »Das war ein brillanter Schachzug. Denk doch mal nach. Du würdest niemals einfach nur so eine Menagerie betreten.«
»Nicht freiwillig.«
Die beiden Frauen neben Rue hatten die Gesichter verzogen und sich die Finger in die Ohren gesteckt. Der kleine Junge zwischen ihnen ahmte diese Pose nach, die Ellbogen in die Seite gestemmt. Er brach in Gelächter aus, als die Frauen ihn weiterzogen.
»Es ist sinnlos.« Rue legte Christoff die Hand auf den Arm und drängte ihn in den Schutz von Bäumen etwas weiter unten auf dem Weg. »Auch wenn er jemals hier gewesen sein sollte, haben wir unser Überraschungsmoment verspielt.«
Christoff warf ihr einen Blick von der Seite zu. »Spürst du es nicht?«
»Was?«, fragte sie bissig. »Die Sonne? Den Wind? Das verzweifelte Entsetzen?«
»Den Diamanten.«
Sie hielt inne und sah zu ihm auf. Das Heulen der Hyäne wurde nun von einem rhythmischen Pochen begleitet. Der kahle Mann vom Eingang hatte einen Schürhaken genommen und benutzte ihn, um auf die Holzkiste zu schlagen, während die Hyäne, die im Innern gefangen saß, nur noch höher kreischte.
»Halt - die - Klappe - du - entsetzliches - Mistvieh …«
»Entschuldige mich«, sagte Christoff und ging zurück zum Käfig.
Als der Torwächter gerade wieder den Haken hinabsausen ließ, bekam ihn Christoff am Handgelenk zu packen und fing den Hieb mitten im Schwung ab, dann schüttelte er kräftig den Arm. Der Haken glitt dem Mann aus der Hand. Wie eine Glocke schlug er gegen die Eisenstäbe und blieb schräg zwischen ihnen liegen. Die Hyäne heulte und jammerte.
Dann war es plötzlich beinahe still, und Rue hörte den Marquis sehr leise und drohend sagen: »Das wollen Sie nicht tun.«
»Eh … was zum Teufel …«
»Hören Sie mal zu, mein Freund. Das wollen Sie nicht noch einmal tun.«
»Ich …«
Sie ging zu den beiden hinüber. Die Hyäne warf ihr einen
Blick aus rollenden, weißen Augen zu und stimmte ihr Geschrei von neuem an. Und es fand ein Echo in etwas, das klang, als stamme es von den Affen irgendwo in der Nähe.
Als sie weit genug herangekommen war, um die beiden verstehen zu können, sah sie, wie der Torwächter langsam mit dem Kopf nickte.
»Ich will das nicht tun.«
»Sie wollen den Käfig säubern und dem Tier frisches Wasser bringen.«
»Jawohl.«
»Stroh«, flüsterte Rue.
»Und frisches Stroh«, sagte der Marquis. »Und eine Extraportion Fleisch heute Abend. Überhaupt werden Sie
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