Der träumende Diamant 1 - Feuermagie
Cynthias leises, scharfes Keuchen, als er davonging, schmerzte in seinen Ohren wie ein Dampfkessel, dessen schrilles Kreischen in sein Gehirn drang.
Wo war sie? Der Ballsaal war von Anderen gefüllt, von ihren Gerüchen und ihren grellen Farben. Aber es gab ein Zentrum des Sturms, einen Ort, an dem eine goldene Gestalt stand, in dunkelgrünem Rock und liliengleicher Ruhe …. Dort, weit dort drüben, bei den Türen … und neben ihr ein Gefühl von Leere …
Sie sprach mit jemandem. Einem Mann mit einer Maske und einem schlichten, grauen Mantel. Sie hatte ihre eigene Maske in der Hand auf den Rock sinken lassen, die beiden sahen sich an, und durch das Meer der Menschen konnte Kit sehen, wie sie sprach. Ihr Haar schimmerte im Kerzenlicht wie eine dunkle, schokoladenfarbene Flamme. Ihre Lippen waren von einem rötlichen Gold.
Der Läufer streckte die Hand aus und packte sie am Unterarm, seine Finger gruben sich in ihre Haut. Und nur diese Geste, der Anblick eines anderen Drákon, der Hand an sie legte - harte, weiße Finger auf dem hellen Glanz, der Rue war -, genügte, dass die letzten klaren Gedanken, zu denen Christoff noch fähig gewesen war, zu Asche verbrannten.
Das Biest in ihm explodierte, wurde lebendig und war voller Zorn. Niemand fasst sie an, niemand fasst sie an, niemand …
Er hörte, wie die Menschen aufschrien. Mühelos drängte er sich durch sie hindurch; sie wurden wie Papierpuppen zur Seite und aus dem Weg gestoßen. Er spürte, wie sich der schwarze Drache seinen Weg durch sein Blut bahnte, geschmeidig und tödlich jetzt, und so wild und drängend wurde, dass er keuchte, und wie das Bedürfnis, die Wandlung zu vollziehen, so mächtig wurde, dass sich sein Körper wie rostiges Eisen anfühlte, zu viel Gewicht hatte und zu schwerfällig war, um ihn noch zu ertragen.
Sowohl Rue als auch der Läufer hatten ihm den Blick zugewandt, noch immer in Verbindung miteinander. Er spürte Rues Blick, ihr exotisches, wundervolles Gesicht, doch Kits Aufmerksamkeit war auf den Läufer gerichtet, den anderen Drákon, dessen Finger mit Gold verschmiert waren und dessen Augen hinter der Maske leuchtend blau waren.
Sekunden, ehe Kit sie erreicht hatte, hatte der Mann sie losgelassen. Er trat einen Schritt zurück und machte eine knappe Verbeugung in ihre Richtung - sie war abgelenkt und blickte sich zu Christoff um - und dann, verflucht noch mal, vollzog der Läufer die Wandlung und wurde zu Rauch, ebendort, mitten im Ballsaal. Einige der Frauen schrien auf.
Rue hob ihr Gesicht und verfolgte den Rauch mit den Augen, ein aschfarbener Nebel, der zur Decke und den Kerzenleuchtern emporstieg und dann in Richtung der Gartentüren
wehte. Sie wandte Kit den Blick zu. Die Maske war ihr aus den Fingern geglitten, und sie eilte zu Kit.
»Nein«, sagte sie, griff nach seinem Ärmel und umklammerte ihn, sodass er sie nicht abschütteln konnte. »Nein. Das darfst du nicht!«
Der Rauch veränderte sich. Die Türen waren weit in die Nacht hinaus geöffnet.
»Nein«, sagte Rue noch einmal, packte seinen anderen Ärmel und stellte sich vor ihn, ihre Stimme war gedämpft und voller Inbrunst. »Christoff - das darfst du nicht. Nicht hier.«
Er atmete aus. Der Drache stieg in ihm auf und stach von innen gegen seine Haut.
Rue drängte sich eng und mit beiden Händen an ihn und zwang ihn, ihr wieder in die Augen zu blicken.
»Kit!«
Ihre Augen funkelten, ein Blitzen von strahlendem Gold, ganz kurz nur und dann schon wieder verschwunden.
Er holte wieder Luft, langsamer, beherrschter, hielt sie einen kristallenen Moment des Wankens lang an, für einen kurzen Augenblick, ehe er sie wieder ausstieß.
»Himmel noch mal«, rief ein Mann hinter ihnen mit einem Schluckauf. »Entsetzlich neblig hier drin, nicht wahr?«
Der Rauch wehte durch die Tür hinaus, Dunst, der sich in Richtung der Sterne auflöste.
Kit sah Rue an. Er betrachtete ihren Unterarm, auf dem sich der Puderfleck abzeichnete, unter dem die rosige Haut hindurchschimmerte: ein Abdruck der Hand des anderen Mannes, deutlich auf ihr zu sehen wie ein Brandzeichen. Hinter ihr lag die Kleidung des Läufers in einem Samthaufen auf dem Ballsaalboden. Um sie herum lachten die Menschen. Jemand hob die Weste auf, schüttelte sie aus und staunte laut über den Trick.
Christoff ließ die Arme sinken, und Rue musste ihn loslassen, woraufhin er ihre linke Hand in seine rechte nahm und sie mit sich in die entgegengesetzte Richtung zog, nicht zu den Türen, die ins Freie führten,
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