Der träumende Diamant 2 - Erdmagie
Perücken. Der mit Linnen gedeckte Tisch stand in einer Ecke unter einem breiten Glasfenster. Dunkelheit hatte sich inzwischen über die Straßen gesenkt, nur vereinzelt durchbrochen von Laternen oder einsamen Fackeln, deren Schein durch die Scheiben hindurch zu sehen war.
Lia hielt, so lange es ging, ihre Teetasse in den Händen. Es zog durch das Fenster, und auch ihr Kaschmirtuch wärmte sie nicht richtig.
Sie speisten schweigend und lauschten dem Geplauder im Raum, der höflichen Eilfertigkeit der Bediensteten, den oberflächlichen Gesprächen der Stammgäste in Französisch und Ungarisch, aber auch in anderen Sprachen, die Lia nicht kannte. Der Kandelaber über ihnen flackerte; Farben tanzten auf dem Tisch und dem Geschirr, und der Dampf ihrer Suppe kondensierte an den Scheiben.
Der Dieb saß ihr gegenüber, und zwischen ihnen stand ein Teller mit Fisch in Cremesoße und Petersilie. Unter ihren Wimpern hervor warf sie Zane einen Blick zu. Er aß mit guten Manieren und zurückhaltend; seine Hand war geschickt, sein Körper entspannt. Er hatte seinen Mantel aus feiner, beigefarbener Wolle geöffnet und damit die Blicke aller Frauen im Raum auf sich gezogen, von den zwei Witwen mit ihren beeindruckend hohen Perücken bis hin zu dem kleinen Serviermädchen, das kaum älter als dreizehn sein mochte und sich aufgeregt an der Käseplatte zu schaffen machte, als er ihr ein Lächeln schenkte.
Im Schein der Kerze glänzte sein Haar wie dunkle Bronze. Lang und gerade fiel es ihm in einem Pferdeschwanz über eine Schulter, und das blaue Samtband, mit dem es zusammengehalten wurde, war ein wenig zu locker geknotet. Er nahm sich ein Stück des weißen, weichen Käses vom Tablett und schnitt es, ohne Lia anzusehen, in Viertel.
»Das machst du ziemlich häufig, weißt du das?«
Sie erwachte aus ihrem Tagtraum und blinzelte. »Ich tue was?«
»Mich anstarren. Habe ich einen Fleck auf der Nase?«
»Keineswegs.« Verlegen starrte Lia in ihren Tee.
»Da bin ich aber erleichtert. Dann bist du zweifellos nur deshalb in Gedanken versunken, weil du darüber nachsinnst,
wie weit wir uns noch von diesem unglaublich wichtigen Diamanten befinden - wie hieß er doch gleich?«
Seine Stimme klang unbeschwert, und er sah nicht von seinem Teller auf, aber Lia spürte, wie seine gesamte Aufmerksamkeit auf sie gerichtet war, und dieses dunkle, süße Summen war ihr schmerzlich vertraut.
» Draumr .«
»Draumr , ja, natürlich. Was bedeutet der Name?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Lia frei heraus.
»Wo hast du ihn gehört?«
Sie antwortete nicht. Er warf ihr einen durchdringenden Blick aus seinen goldfarbenen Augen zu. »Du erwartest ziemlich viel blindes Vertrauen, Löwenmäulchen. Aber bei einem Mann meines Gewerbes bekommt man Vertrauen niemals umsonst. Wenn du möchtest, dass ich dir glaube, mich auf dich verlasse und zusehe, wie du uns mir nichts, dir nichts durch alle Schlammlöcher dieses verfluchten Kontinents jagst, so wie es dir gefällt, dann musst du mir im Gegenzug schon auch etwas bieten.« Er legte ihr ein Stück geschnittenen Käse auf ihren Teller. »Ich will nicht alle deine Geheimnisse erfahren, Amalia. Nur diejenigen, die auch mich betreffen.«
Lia antwortete langsam: »Ich hörte ihn in einem Traum.«
Sein Gesichtsausdruck änderte sich nicht. »Tatsächlich?«
Sie ließ den Kopf sinken.
»Und daher weißt du auch, wo er sich jetzt befindet? Aus … deinen Träumen?«
»Du brauchst gar nicht so ungläubig zu tun. Es ist wahr.«
»Verzeih mir.« Er legte seinen Kopf in den Nacken und lächelte zur pfirsichfarben verputzten Decke empor. »Ich
bin nur erstaunt darüber, dass ich tatsächlich mein ganzes Geschick in die Hände eines Mädchens gelegt habe, das ihr Leben - und meines - aufs Spiel setzt, weil ihr Visionen im Kopf herumspuken.«
Sie war an die Verführungskraft seiner Stimme gewöhnt, an die mit sanftem Ton gegebenen Befehle. Aber seine Verachtung war neu für sie.
Lia beugte sich über den Tisch, bis die Kante die Streben ihres Korsetts eindrückte. »Du weißt, dass ich kein Mädchen mehr bin. Du weißt, was ich bin. Ich habe davon geträumt, und es ist wahr. Du kannst mir glauben oder nicht, das ist mir gleich. Aber du hast gefragt, und deshalb habe ich geantwortet. Wenn du in Zukunft wünschst, dass ich lüge, um dein Gemüt zu schonen, dann sag mir das bitte vorher.«
Sein Blick hielt dem ihren stand. Auf der anderen Seite des Raumes verebbte das Gelächter einer Frau zu einem Kichern;
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