Der träumende Diamant 3 - Drachenmagie
an seiner Hand, einen Ring. Als seine Finger nach der Wolle griffen, musste sich der Ring in Richtung seines Knöchels gedreht haben, denn sie fühlte, wie ein Diamant über ihr Knie strich - aber nicht irgendein Diamant.
Dieser hier verbrannte sie. Es schmerzte - nicht besonders schlimm, weil es sich um einen kleinen Stein handelte - mit einem tiefen zornigen Stechen, das ihre Nervenenden
in Flammen setzte. Eine Woge heftigen Schwindelns brandete heran und brach in ihrem Kopf, und schwarze und blaue Glühwürmchen explodierten hinter ihren geschlossenen Lidern.
Es fühlte sich wunderbar an. Es verursachte ihr Todesqualen.
Sie kannte diesen Stein. Und sie wusste jetzt mit vollständiger, erschreckender Klarheit, wer der Anführer der drei anderen S anf war.
Der Alpha begab sich allein auf das Dach von Chasen Manor. Er ging zu ebendem Platz, an dem er sie zuvor gefunden hatte, mit angezogenen Knien dasitzend, den Rücken gegen das majestätische, wasserblaue Glas der von Robert Adam entworfenen Kuppel gestützt. Er kniete sich hin und legte eine Hand auf die sich überlappenden Schieferplatten an ihrer Basis.
Sie war immer noch da, jedenfalls Spuren von ihr. Sie erhob sich und umfing ihn in sanftem Willkommen, Phantommädchen, in seine Zellen sinkend, sich verbindend, ganz. Seine Frau.
Er schloss die Augen nicht, sondern ließ den Blick zur Kante der Ziegelkonturen schweifen, an den Schornsteinen und gleißenden Sandsteindachrinnen vorbei bis zu den aufragenden Bäumen, die streiffingrig in die tiefe Himmelsschüssel stachen.
Einatmen. Ausatmen.
Er kannte sie jetzt. Er wusste, wer sie war und wie sie war. Zerbrechlichkeit; Geist; tollkühne Tapferkeit. Er kannte den Farbton ihrer Augen im Mondlicht und im Sonnenschein. Er kannte die Weichheit ihrer Haut, die Form ihrer Brüste und ihres Bauches. Er wusste, wie sie sich im Innern anfühlte,
kannte das lebendige Vergnügen ihrer Vereinigung, und all diese Dinge verschmolzen und wandelten sich zu einem Schlüssel zum Geheimnis ihres Verschwindens.
Er konnte sie finden. Er konnte sie durch die Feuer der Hölle finden.
Die Überreste von Maricaras Präsenz begannen zu pulsieren, wurden zu mehr als Erinnerungen und Geruch, gingen in Energie über, in Farbe.
Er hatte so etwas schon zuvor erlebt, allerdings nur wenige Male, nämlich dann, wenn die Jagd nach einem Läufer so schrecklich war, dass er das Gefühl gänzlich verlor, menschlich zu sein. Er war jetzt Drákon. All das, und nur das; es war alles, was er brauchte. Er kniete in einem Teich von Gold und Orange und Violett, und die Farben öffneten sich um ihn herum wie Blüten, sich langsam sammelnde Bänder aus Licht, die letzten lebendigen Farben der Frau, die er als seine Gefährtin beanspruchte. Als er den Kopf drehte, sah er ihren Weg mit Drachenaugen, eine schwindende leuchtende Linie in Richtung Süden, die glitzerte und flackerte wie die Funkenspuren einer Wunderkerze in der Silvesternacht. Er starrte darauf, bis alles vor seinen Augen verschwamm und er sich vollkommen sicher war.
Entferntes Schießpulver stieg mit dem Wind auf. Er fühlte sie, klein und vorschnell und stark, und er sprang auf die Füße.
Der Alpha vollzog die Wandlung zum Drachen, stieß sich vom Dach seines Zuhauses ab, riss einen Wirbel von Ziegeln aus der Verankerung, die umherhüpften, kippten und auf der Erde weit unten in Stücke zerbarsten.
Zum ersten Mal seit langer, langer Zeit war sich Maricara bewusst, dass sie träumte. Keinen Alptraum, noch nicht; sie
flog nicht in die Richtung von etwas Bestimmtem oder auch nur einfach davon. Tatsächlich flog sie überhaupt nicht. Sie ging durch kühle, schattige Korridore, Orte, die sie nie zuvor gesehen hatte, aber gleichzeitig kannte, und zwar gut. Es war nicht ihre Burg, und es war auch nicht Chasen Manor.
Stimmen flüsterten, aber sie verstand sie nicht; sie zogen sie vorwärts, tiefer in das steinerne Labyrinth aus Licht und Dunkel.
Als sie nach unten blickte, sah sie, dass ein kobaltblaues Gewand ihren Körper umhüllte, geschmückt mit Bändern und Edelsteinen und allen möglichen hübschen Menschendingen. Als sie zur Seite schaute, sah sie ihr Spiegelbild in den Fenstern von Zimmern, die sie nicht betrat: einen Drachen, der weich dahinschritt, mit schwarzen Schuppen und Augen wie Silbersterne.
Sie erreichte eine Art Kreuzung von Korridoren und erkannte plötzlich, wo sie sich befand: in der Abtei im ländlichen England. Wenn sie sich nach links wendete, würde sie
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