Der träumende Diamant 3 - Drachenmagie
dem glänzenden Gold.
»Es ist eine Drossel.«
Sie wiederholte das englische Wort. Ihr gefiel, wie es sich auf ihrer Zunge anfühlte. »Eine Drossel. Sie ist sehr weit entfernt.«
»Ja.« Sein Ton wurde etwas bestimmter. »Sie kommen nicht näher.«
»So ist es auch bei mir zuhause.«
Berge oder Wälder, Tal oder vom Wind durchfegte Schlucht: Jedes Tier, das dazu in der Lage war, blieb Zaharen Yce und seiner Umgebung fern. Bis zu ihrem vierzehnten Lebensjahr hatte sie kein lebendiges Reh gesehen. Wie
viel schlimmer musste es in dieser Grafschaft sein mit all diesen strahlenden Drachen mit den Menschengesichtern, die hier herumliefen?
»Sie singt ein wunderbares Lied«, sagte Maricara.
»Ja«, wiederholte der Graf. Und dann: »Dieses Zimmer - gehörte meiner Schwester Amalia.«
»Oh.«
»Offenkundig benutzt sie es nicht. Es ist das Ihre, wenn Sie wollen. Ich glaube nicht, dass sie sich daran stören würde.«
»Ich danke Ihnen, aber nein.«
»Es gibt auch genug Platz für Ihre Männer. Das hier ist ein verteufelt großer Ort.«
»Das sehe ich. Aber es ist besser, wenn wir getrennt bleiben.«
»Maricar…«
»Nein«, sagte sie entschlossener als zuvor. »Ich werde nicht hier bei Ihnen wohnen, Graf Chasen.«
Er öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder. Mit einer Aura vollkommener Ruhe blickte er von ihr weg. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er an Zurückweisungen gewöhnt war; er wirkte nicht wie ein Mann, der irgendwelchen Widerstand auf die leichte Schulter nehmen würde, Alpha hin oder her. Aber er sank nur in sich selbst zurück, als habe er nichts Dringenderes zu tun, als die perfekt eingerahmte Aussicht vor ihnen zu bewundern.
Trotzdem spürte sie den Widerspruch in ihm. Sie fühlte die rohe Macht, die unter seiner eleganten Zurückhaltung brodelte.
»Das Essen«, verkündete eine Stimme hinter ihnen, »ist serviert.«
Gemeinsam wandten sie sich um. Bei dem Mann, der lässig
mit der Schulter an den Türrahmen gelehnt dastand, handelte es sich nicht um einen Diener, sondern zweifellos um einen weiteren Edelmann. Er trug eine feine, gebleichte Krawatte, in einem Ohr einen großen, an einem Golddrahtring baumelnden runden Smaragd, der noch ein paar Töne dunkler schimmerte als seine Augen.
»Ihre Hoheit«, murmelte Kimber. »Mein Bruder, Lord Rhys.«
Sie hob eine Hand, und sein Bruder stieß sich vom Türrahmen ab. Er verneigte sich tief über ihre Finger, küsste sie aber nicht. Merkwürdigerweise spürte sie ein leichtes Prickeln auf der Haut, wo sein Mund ihre Knöchel hätte berühren sollen.
Sie erinnerte sich von der Versammlung all dieser rotwangigen Männer her an ihn. Vor allem hatte sie noch die besondere Art seines Starrens im Gedächtnis.
Der Graf rührte sich kaum merklich. Lord Rhys ließ augenblicklich ihre Hand los.
»Ich hoffe, Sie mögen Forelle«, sagte Rhys fröhlich und schaute Kimber an. »Mac und seine Leute waren heute Morgen draußen auf See und haben eine Wagenladung davon gefangen. Wir können uns glücklich schätzen, wenn wir sie bis zum Abend aufgegessen haben. Ich mag Fisch zum Frühstück nicht.«
Maricara hasste Fisch. Sie hasste ihn beinahe ebenso sehr wie Kohl.
»Das ist ganz wunderbar«, sagte sie und akzeptierte den Arm des Grafen, der sie aus dem Zimmer geleitete.
Kimber roch nach Brot, weil er sich vermutlich in der Nähe der Küchen aufgehalten hatte. Es gab nicht nur Brot und mit Kräutern vermischte Butter, sondern auch Kartoffelauflauf
und gebackene Äpfel mit Cheddar-Käse und einen Salat aus gemischtem Grünzeug und Öl. Der Speisesaal wirkte noch prächtiger als die Räume, die sie bislang gesehen hatte. Ganze Wände bestanden aus Malachit- und Bernsteinplatten, die Decke zierten gemalte Tiere und Sonnenuntergangswolken, die in das Gelb und Grün der Wände übergingen. Hier war es kühler als im übrigen Haus. Nicht angezündete Kerzen standen in schwarzen Eisenbecken in den Ecken, und Tropfen nach Honig duftenden Wachses rannen in gedrehten, erstarrten Windungen nach unten.
Man hatte Weißwein ausgeschenkt. Ein Chor aus schimmerndem Silber umrahmte das Porzellan. Maricara akzeptierte den angebotenen Platz zur Linken des Grafen. Sein Bruder saß ihr gegenüber. An den Wänden hatten sich Lakaien und Knaben in Livree aufgereiht. Kein Ratsmitglied war anwesend.
Der Wein hatte das Aroma von Birnen und scharfer Herbstluft. Plötzlich vermisste sie ihre Burg, die Höhenzüge und die wie Stufen in die senkrechten Hügel
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