Der träumende Diamant 3 - Drachenmagie
schien geschehen zu sein, außer dass sie sich eine Quetschung an der Hüfte eingehandelt hatte, die von einem unangenehm scharfen Granitsplitter in der Erde stammte.
Aber sie war geflogen. Der Graf hatte es gesagt, und Maricara glaubte ihm. Selbst hier und vor Erschöpfung verkrampft hatte sie sich nicht um den schmutzigen Kies unter ihrer Wange geschert, solange sie sich nur hinlegen und die Augen schließen konnte … Und sie war geflogen.
Kein Wunder, dass sie erst so spät aufgestanden war und sich trotzdem so ausgelaugt fühlte.
Die Quetschung hatte sie erst entdeckt, als man sie in irgendjemandes Privatgemächern allein gelassen hatte, damit sie ein aus einer Zedernholzkommode geholtes Tageskleid überziehen konnte. Graf Chasen hatte dies vorgeschlagen, und dieses Mal hatte Maricara akzeptiert. Es ging nicht an, dass sie den Tag in nichts weiter als einer Lage bestickten Brokates über nackter Haut verbrachte.
Sie wählte das einfachste Kleid. Das Angebot, nach Zofen zu schicken, hatte sie abgelehnt. Mit breiten Reifröcken an den Seiten anstelle von weiten Petticoats war es ein wenig altmodisch und schwer anzulegen, aber der elfenbeinfarbene, mit Lavendelzweigen bestickte Musselin über den Rüschen des Unterrocks aus pflaumenfarbener Seide stand ihr ausgesprochen gut. Das Kleid erinnerte sie sehr stark an das traurige, leere Schloss in Frankreich.
Aber es war immer noch besser als Graf Chasens Rock. Wenn die Männer an diesem Ort sie jetzt immer noch anstarrten, dann lag es zumindest nicht an ihren Beinen.
Seidene Strümpfe, Satinschuhe. Die Reifröcke. Ein ohne Hilfe nur unzulänglich zu verschnürendes Korsett, das ihr den Atem nahm. Ein weißes Band für die Haare. Es kam ihr
so merkwürdig vor, sich wieder als echte Frau zu kleiden. Sie hatte so viel Zeit mit Schuppen oder unter ihrer Decke zugebracht. Maricara hob ein Handgelenk und bemerkte die Spitze, die vom Unterarm bis beinahe auf ihren Überrock fiel; die Engländer taten nichts nur halb.
In den Wänden hier gab es keine Löcher, durch die jemand hätte spionieren können. Sie hatte mit den Fingerknöcheln gegen den rosenfarbenen Stuck geschlagen und kein hohles Geräusch vernommen. Die hohen Fenster öffneten sich zu einem Panorama mit porzellanblauem Himmel und sanften grünen Hügeln. Die Tür verfügte über einen Schlüssel aus poliertem Messing, der im Schloss steckte.
Sie hörte Leute sprechen, dann erklangen Schritte, und das Holz von Fußbodenbrettern knarrte. Sie hörte, wie ihr Name geflüstert wurde, wieder und immer wieder wie Wellen auf einem Ozean, heranbrandend und sich wieder zurückziehend und zur Wiederholung verurteilt.
Maricara stand lange vor dem Fenster und blickte in den heißen, leeren Himmel. Sie hob langsam die Arme und presste die Hände auf die Ohren.
So fand sie der Graf.
Diesmal spürte sie ihn kommen. Er war bereits ganz nahe, stand in der offenen Tür. Als sie sich nicht umdrehte, trat er ins Zimmer, und die winzigen Erschütterungen seiner Schritte stiegen ihre Beine hinauf und sammelten sich in ihrer Mitte. Schließlich stand er neben ihr, vermied es, ihren Ellenbogen zu berühren und kreuzte die Hände auf dem Rücken. Sein korallen- und perlfarbener Rock lag da, wo sie ihn hingeworfen hatte: auf dem Bett. Er trug eine Weste aus passendem Brokat und ein Hemd mit Spitze, die viel kürzer war als ihre.
Kimber bedachte sie mit einem Seitenblick. Seine Augen schimmerten sehr grün.
»Nützt es etwas?«, fragte er.
Sie senkte die Arme. »Nein.«
»Schade. Man stelle sich die Freude absoluter Stille vor.«
»Ich glaube nicht, dass es so etwas gibt.«
»Vielleicht haben Sie recht. Nicht für uns.«
Dann schwieg er wieder und nahm allem Anschein nach die Aussicht in Augenschein. Er roch jetzt nach Koriander und frisch gebackenem Brot. Sie richtete ihren ganzen Willen auf ihren Magen, damit der nicht knurrte. Sie würde nicht wieder nach Essen fragen.
»Sie haben dort draußen einen Vogel«, sagte sie. »Im Osten. Er singt.«
Er runzelte leicht die Stirn und blickte in Richtung der Wälder. Jetzt, da sie mehr auf ihn eingestimmt war, konnte sie spüren, wie sich seine Konzentration verschob, hinter den Wald aus schweren Bäumen, in Raum und Entfernung und zu diesen reinen, makellosen Tönen, welche die Luft durchdrangen. Seit dem letzen Mal, da sie ihn gesehen hatte, hatte er die Perücke abgenommen und sein Haar zurückgebunden. Das Licht vom Fenster her enthüllte Schichten lohfarbenen Haars unter
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