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Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Titel: Der träumende Kameltreiber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amor Ben Hamida
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schlagen, neben dem Klauen, die Italiener, das ist beim Espresso. Obwohl wir ihnen den Kaffee gebracht haben, sind sie Meister dieses Gebräus geworden. Ich fragte frech nach einem zweiten und bekam ihn.

    Jetzt endlich konnte ich dieser Frau in die Augen sehen und hielt inne. Mir blieb der Atem weg ob ihrer Schönheit. Ihr langes, goldenes Haar erinnerte mich an eine Märchenfigur. Träumte ich? War ich vielleicht in einer Telefonkabine gelandet und hatte mir vor lauter Hunger und Kälte und Einsamkeit diese Szene erträumt? Sie sprach mit einer Stimme, die mich weit weit weg zauberte. Ihre Augen stachen mich mit einem Blau, wie ein Strahl, dem ich ausweichen musste.
    Ich hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Anstandshalber hätte ich aufstehen, mich herzlichst bedanken, ihr meine Adresse in Sousse geben und ihr das Angebot einer Revanche machen sollen. Aber sie unterbrach meine Gedanken und fragte mich aus: Wieso ich so aussähe, was passiert sei … Mir wurde plötzlich klar, warum dieser arrogante Kellner mich nur mit einem herablassenden Blick bediente und warum einige Gäste sich nach mir umdrehten und irgendetwas leise vor sich hin murmelten. Ich muss wie ein Bettler ausgesehen haben, seit Tagen nicht rasiert, nicht gewaschen, mit schlaftrunkenem Ausdruck. Meine Augen mussten ja ausgesehen haben, als wenn ich ein Trunkenbold wäre.

    Warum hatte mich diese wunderschöne, makellose Frau zu sich gebeten? Ich erzählte ihr alles, während ich lächelnd um einen dritten Espresso bat, den sie mir mit einem großzügigen Lachen gewährte. Ich erzählte vom Professor, von der Reise nach Genua, von der Maffia und der Polizei, von Lotfi und dem Spital. Ich erzählte in drei Sprachen: meistens in meinem schlechten Französisch, einige Worte kamen automatisch auf Italienisch, und wenn ich nicht weiterwusste, redete ich mit den Händen. Aber immer mehr kamen mir die gelernten deutschen Worte und Sätze in den Sinn. Und so einigten wir uns darauf, dass ich es auf Deutsch versuchen sollte. Wenn es nicht mehr ginge, würden wir auf Französisch ausweichen. Ihr hättet mich hören sollen: ‚Wissen Sie, je suis très heureux, für die Begegnung avec toi …’
    ‚Und wo willst du heute schlafen?’
    Ich zeigte mit einem Kopfzeichen auf diese Kirche.
    Sie lachte leise und hielt die Hand vor den Mund: ‚Nein, die lassen dich da nicht rein. Die Kirche ist nachts zu. Stell dir vor, wie viele Menschen sie heute aufsuchen würden. Es gibt viele Obdachlose hier.’
    Ich antwortete, dass ich von Freunden, die nach Europa kamen, gehört hätte, dass die Stadt solche Armenhäuser unterhält und die Obdachlosen versorgt.
    ‚Ja’, sagte sie, ‚aber du musst einen Ausweis zeigen und den hast du ja nicht.’ Dabei lächelte sie verschmitzt. ‚Und in ein Hotel kannst du nicht. Auch die verlangen einen Ausweis und vor allem verlangen sie Geld.’
    Ich machte schließlich ein Zeichen mit dem Kopf in Richtung Telefonkabine. Sie lachte laut: ,Oh nein, niemand schläft in einer Telefonkabine, besonders nicht heute, wo es so kalt ist. Du kommst zu mir.’
    Ich sah sie ungläubig an.,Ich heiße Heidi’, sagte sie.,Ich bin Ahmed. Heidi, das ist nicht italienisch, oder?’
    ,Nein, ich bin Schweizerin, aus Zürich.’
    Sie bezahlte alles. Ich kam mir wie der letzte Hund vor, ein Hund, dem man ein paar Knochen hinwarf, der dankbar für die Güte seines Herrchens war, der mit dem Schwanz wedelte und darauf wartete, dass das Herrchen – oder Frauchen – die Richtung andeutete. Wir gingen einige Straßen weiter. Nur wenige Hundert Meter vom Restaurant zog Heidi ihren Schlüssel aus der Handtasche und schloss eine Tür auf.
    Wir stiegen eine alte Treppe hinauf und hielten im dritten Stock. Das Haus schien alt zu sein, denn das Holz knarrte unter meinen Füßen. Aber ihr wisst ja, ich hatte bis dahin noch nie ein solches mehrstöckiges Haus betreten, das Holztreppen hatte. Solche soll es in Tunis geben. Also war ich auf die Wohnung gespannt und da gingen meine Augen groß auf, als wir dieses ,Studio’, wie es Heidi nannte, betraten. Eine Wohnung, die nicht in dieses Haus zu passen schien. Ich kam mir vor wie Alau’ddin, der an seiner Lampe rieb und auf einmal in einem wunderbaren Ort war, weit weg von der Armseligkeit seiner gewohnten Umgebung. Ich befand mich in einem luxuriösen Appartement, Freunde! Sie zeigte mir alles. Mein Kiefer muss wohl ziemlich weit unten gewesen sein, denn sie schloss mir den Mund mit einer zärtlichen

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