Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Titel: Der träumende Kameltreiber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amor Ben Hamida
Vom Netzwerk:
wusste nicht, wie ich ihr alles erklären sollte, mit dem verpatzten Job, mit der Flucht, mit Heidi. Und dieser blonde Engel schaute mich vergnügt und interessiert an, als die ersten arabischen Worte aus meinem Mund kamen. Heidi muss es zum ersten Mal in ihrem Leben gehört haben. Wie konnte auch jemand wie sie jemals mit einem Araber zu tun gehabt haben? Mit einem französischen Adligen oder einem Briten aus dem Königshaus vielleicht, aber doch nicht mit einem meiner Art.
    Ich erzählte meiner Mutter nur, dass ich ihr morgen Geld schicken würde, ich würde meinen Nachbarn Abdelfattah anrufen, ihm eine Nummer bekannt geben, denn meine Mutter konnte nicht schreiben, und er würde das Geld für sie bei der Post abholen, sie sollte bis Montag ausharren. Sie betete für mich. Sie weinte und mir steckte der Speichel in der Gurgel. Heidi sah mich mitleidig an; ich glaube, sie hatte noch niemals in ihrem Leben mit solchen Problemen zu tun gehabt. Sie musste aufgewachsen sein in einer Welt, in der sie jeden Wunsch erfüllt bekam, bevor sie ihn aussprach.
    In jener Nacht empfand ich, weil ich, wie gesagt, lange nicht einschlafen konnte, einen unglaublichen Wunsch, mich zu Heidi zu legen. Ich drehte und wendete mich im Bett, aber ich hatte die Beherrschung, Gott sei Dank, dort zu bleiben wo ich war, im Gästezimmer, allein mit meinen Gedanken, meinen Hoffnungen und schönen Vorstellungen von meiner Mutter, die zum ersten Mal im Leben so viel Geld bekam.
    Am nächsten Morgen musste mich Heidi wecken. Erst gegen vier Uhr war ich eingeschlafen. Ich wusste, dass es vier Uhr war, weil eine Kirchenuhr schlug. Wisst ihr überhaupt, wie das funktioniert? Zu jeder Viertelstunde macht die Kirchenuhr Ding-Dong, und zwar jeweils einmal pro Viertelstunde. Also zur halben Stunde schlägt es Ding-Dong-Ding-Dong. Und zur Dreiviertelstunde dreimal Ding-Dong. So, und wenn die Stunde voll ist, dann hört man zuerst viermal ein Ding-Dong, danach eine kurze Pause, und dann so viele Male Dong, wie die Zeit ist, viermal um vier Uhr und zwölfmal um Mittag und Mitternacht. Wusstet ihr nicht, was? Woher denn auch …
    Ihr fragt euch sicher, warum ich sie denn nicht wegen der Schweiz und ihrer baldigen Abreise gefragt habe. Bis zu jenem Sonntag war ich aufgeregt wie ein Kind. Diese Begegnung, diese Bereitschaft eines wildfremden Menschen, mir zu helfen, all meine akuten Probleme zu lösen, diese Schönheit und Erotik, die diese Frau ausstrahlte, ließen mich einfach vergessen, ließen mich Stunde für Stunde vor mich hin leben, genießen, warten. Ich wusste, dass der Sonntag kommen und somit der Abschied nahen würde. Aber es lagen noch zwei Tage und eine Nacht dazwischen. Von den Tagen erwartete ich Vergnügen, schönes Essen, Reden und Lachen und von jener Samstagnacht – meine Hand ist auf meinem Herzen, Freunde – da erwartete ich auch einiges. Es war schließlich unsere letzte!
    Wir überwiesen das Geld und zu meinem Erstaunen erhielt es mein Nachbar am Nachmittag schon und überreichte es meiner überglücklichen Mutter. Sie soll wieder geweint und gebetet haben. Und der Samstagabend wurde ein Traum. Wir gingen aus, wieder in Bars, dann in eine Diskothek, wir tanzten, ich kam mir vor wie ein Prinz, der seine Prinzessin ausführte, bis auf die Kleinigkeit, dass sie bezahlt. Dann gingen wir nach Hause. Wir ließen den schönen BMW in der Nähe der Disko stehen, sonntags zahlten sie anscheinend keine Parkgebühren auf diesem Dorfplatz, und nahmen ein Taxi – einen Fiat. Heidi torkelte leicht, als wir aus dem Taxi ausstiegen. Sie hielt mich fest, gab mir ihr Portemonnaie mit all ihren Karten und den vielen Euros. Ich bezahlte den Fahrer, der mich – wie ein Araber – mit einem Augenzwinkern anlachte.
    Sie suchte das Schlüsselloch, ich half, denn ich hatte den ganzen Abend nur Cola getrunken. Sie entschuldigte sich, ich sagte: ,Macht doch nichts.’ Oh, ihr hinterlistigen Nomaden, ich weiß, was ihr jetzt denkt. Ihr denkt, dass ich diese einmalige Gelegenheit ergriffen hätte, ihr Geld und ihre Liebe gestohlen hätte. Nichts dergleichen. Ich dachte an all das, was sie mir Gutes getan hatte. Und obwohl sie mich aufforderte, mit ihr unter die Dusche zu gehen, wartete ich, bis sie fertig geduscht hatte. Wisst ihr, die duschen in Europa manchmal zweimal am Tag. Dann forderte sie mich auf, bei ihr im Bett zu bleiben. Aber ich deckte sie zu, küsste sie auf die Stirn, streichelte ihr goldenes, leicht feuchtes Haar, sah sie lange an und sagte, als

Weitere Kostenlose Bücher