Der träumende Kameltreiber (German Edition)
würde zu Fuß vom Bahnhof zu ihr finden. Wieso sollte ich ein Taxi in eine Bahnhofstraße Nr. 4 nehmen. Ich müsste ja nach ein paar Metern aussteigen.
Die Schweiz
Glaubt es oder glaubt es nicht, Freunde, beim ersten Versuch kam ich rüber. Ich sah, wie ein paar Uniformierte in den Zug stiegen, ganz hinten, und in Fahrrichtung gingen. Sie schauten die Fahrgäste an, kaum jemand wurde kontrolliert. Ich könnte ja auch für einen Süditaliener gehalten werden. Ich stieg ein, etwa eine Minute vor der fahrplanmäßigen Abfahrt. Sie kamen nicht nach hinten zurück und beim ersten Halt, als ich sicher war, dass ich mich in der Schweiz befand, stieg ich aus, ging ganz normal, sicheren Schrittes und als wenn ich schon Jahre hier wohnte, in eine Seitenstraße. Dort blieb ich stehen und holte tief Luft. Es schien alles zu klappen, mein Gott, danke für deine unschätzbare Hilfe, Gott. Ich betete stehend in einer Gasse, könnt ihr euch das vorstellen? Dann ging ich zum kleinen Bahnhof zurück. Ich nahm den nächsten Zug nach Zürich. Ich bewies Nerven, als ich den Kontrolleur fragte, wann wir dort ankämen, keine Spur von Angst, denn ich fühlte es: Sie würden mich nicht mehr kontrollieren. Das ist nicht wie bei uns, wo sie dich mitten auf der Straße nach deinen Papieren fragen. Innerhalb des Landes bist du ein freier Mann, aber wehe, du begehst den kleinsten Fehler, wie es mir passieren wird. Ich Idiot. Sie kontrollieren dich, auch wenn du nur einen Polizisten darauf aufmerksam machst, dass ein toter Vogel auf der Straße liegt. Für jedes Protokoll braucht es Ausweispapiere. Und wenn du sie nicht dabei hast, dann schreiben sie deine Angaben vertrauensvoll auf. Und abermals wehe, wenn du sie belügst. Sie holen dich, sie suchen dich so lange, bis sie dich finden. Mit den Schweizern ist da nicht zu spaßen. Aber ich war erst mal in Sicherheit und freute mich, als der nette Mann in Uniform im Zug einen Handcomputer konsultierte und dann antwortete: ‚Einundzwanzig Uhr einundfünfzig, Gleis elf, Monsieur.’ Mir gefiel dieses ‚Monsieur’, das andere glaubte ich ihm nämlich nicht. Das war zuviel des Guten. Er hätte sagen können: ‚Gegen zehn’, oder von mir aus: ‚Etwa Viertel vor zehn’. Aber dass er auf diese Minute einundfünfzig bestand, betrachtete ich doch als Bluff. Wieder Siedlungen, Berge und Bergdörfer. Wisst ihr, sie bauen wegen Platzmangels ganze Dörfer in die Berge hinein und ich habe mich immer gefragt, wie sie alles da hinaufgeschleppt haben. Dann wieder Tunnels, dieser Zug neigte sich in der Kurve so sehr, dass ich mich festhalten wollte. Er raste, als wenn einer hinter ihm her wäre. Dann hieß es in drei Sprachen: ‚Nächster Halt Zürich Hauptbahnhof. Prochain arrêt Zurich Gare Centrale. Next Stop Zurich Main Station.’
Ich lachte schon, als die Durchsage um Viertel vor zehn kam. Der Zug kam also doch etwas zu früh an und ich hätte es gerne dem Kontrolleur gesagt. Aber Zürich, liebe Freunde, hat etwa hundert Gleise, ich übertreibe vielleicht, aber links und rechts von mir erstreckten sich parallel diese eisernen Schienen, die miteinander verschmolzen, sich dann wieder trennten, um ein neues Gleis zu bilden. Wir überholten Züge, wechselten mehrmals die Spur, wurden überholt. Einige Minuten lang fuhren wir absolut gleich schnell wie ein Doppelzug neben uns. Ich konnte den Leuten, die im Restaurant aßen, in die Teller sehen.
Mein Kiefer stand tief, als der Zug hielt und die Bahnhofuhr exakt einundfünfzig Minuten nach neun zeigte! Verflucht, wie machen die das? Ich habe es nie herausgefunden.
Der Bahnhof Zürich ist eine Welt für sich. Schon beim Aussteigen musste ich kurz stehen bleiben und bei einer Aktion zusehen. Ein Dienstmann schob ein Gerät, das wie ein Gabelstapler aussah, ganz nahe an eine Zugtüre. Dann sah ich eine junge Frau im Rollstuhl in diesen Kasten fahren, der Beamte schloss dann eine Art Tür oder Gitter und ließ das Ding – wahrscheinlich hydraulisch – herunter. Dann machte er das Gitter wieder auf und die junge Frau konnte das Vehikel auf ihrem Rollstuhl verlassen, bedankte sich und fuhr davon. Ich fragte mich, wie sie wissen konnten, dass genau mit jenem Zug eine Behinderte ankommen würde. Aber als ich ihre Technik später kennengelernt hatte, konnte ich mir vorstellen, dass sie schon von zu Hause telefonisch eine solche Hilfe bestellt hatte. Der Zugführer nennt dann den Bahnhof, wo sie einsteigen, und jenen, an dem sie aussteigen wird, irgendeiner
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