Der träumende Kameltreiber (German Edition)
Kamelstuten und meinen Plänen, eine kleine Herde daraus zu machen. Ich sagte ihr, dass ich Schulden hinterlassen hätte. Und dann passierte dasselbe, wie es mir mit meinem Onkel und seiner französischen Tochter geschehen war: Ich redete und redete und redete, dabei hatte sie das Problem schon lange gelöst. Sie war so freundlich und geduldig, mir bis zum Schluss zuzuhören. Als ich als Zeichen der Beendigung meiner Rede aufstand, meinen Kopf in die Hände nahm und aus dem Fenster blickte, in eine kleine Stadt, die sich zum Schlafen bereit machte, sagte sie mir: »Ein paar Straßen von hier ist ein Western-Union-Büro. Die haben samstags offen. Wenn wir also morgen Vormittag hingehen, bekommt deine Familie das Geld noch am selben Tag, spätestens am Montag früh.«
Ich schaute mich verdutzt um und dachte, ich hörte schon Stimmen aus einer anderen Welt, während sie aufstand und auf mich zukam. Sie umarmte mich wortlos. Ich ließ meine Arme hängen wie ein müder Affe. Es verging eine Ewigkeit, bis ich sie auch umarmen konnte. Ich ließ sie nicht mehr los. Ich spürte nicht nur ihren Körper, der mich umschlang, nein, Freunde, in solchen Momenten denkt auch ein Mann nicht nur daran. Ich spürte vor allem ihren edlen Geist, ihre saubere Seele, ihr liebes und aufrichtiges Wesen, und ich schämte mich meiner, einmal mehr. Ich hoffte nur, dass sie mich nicht fragen würde, wie viel Geld ich brauchte.
‚Wie viel musst du haben?’ Sie sagte es, als ich es fertig gedacht hatte.
Ich kam mir vor wie ein Durstiger, dem ein Kelch geboten wurde, von dem er nicht wusste, ob er vergiftet war, wie ein Hungriger, dem ein Teller entgegengehalten wurde, von dem er befürchtete, er sei zu heiß, wie ein Liebender, dem die zarten Lippen Angst machten, ob sie ihn wohl verbrennen würden. Aber ich beschloss, in dieses Feuer zu springen und sagte Heidi, während ich sie an den Schultern hielt und ihr tief in die wunderschönen, unendlich tiefen Augen sah: ,Ich will dir eine Liste schreiben, mit einem doppelt unterstrichenen Betrag, und ich will dir jeden Cent zurückgeben, und wenn es mein Leben lang dauern würde.’
Sie lächelte entzückend und zog einen Kugelschreiber, bestimmt vergoldet, reichte ihn mir und sagte: ,Papier findest du auf dem Arbeitstisch. Ich bin kurz im Bad.’ Ich hörte, wie sie die Brause laufen ließ, sich einseifte, ich hörte sie singen mit ihrer zarten Stimme wie aus einer Traumwelt, meine Gedanken waren zwischen diesem Papier und ihr, zwischen meinen Sorgen und ihrem Dasein, zwischen meiner Familie und ihrer so fremden, aufregenden Welt.
Als Heidi aus dem Bad kam, mit ihrem feuchten Haar, in einem dünnen, samtenen Bademantel, dunkelblau wie ihre Augen, ließ ich bei ihrem Anblick den Kugelschreiber fallen. Da muss sie es gemerkt haben: Ich war in sie verknallt wie ein Vierzehnjähriger in seine schöne Cousine. Am liebsten hätte ich ihr sofort gesagt, dass ich sie heiraten wollte. Ich schüttelte leicht und lächelnd den Kopf und sie bemerkte meine Gefühle, verschwand aber in ihr Zimmer, um etwas anderes anzuziehen. Als sie herauskam, waren meine Blicke nicht weniger lüstern und aufgeregt. Ich erspare euch das alles, Jungs – du weißt, wie ich es meine Samia. Ich meine das einfach so: In jenem Moment, Gott ist mein Zeuge, hätte ich allem zugestimmt. Aber sie war so taktvoll und wollte mit mir die Liste besprechen, darauf standen nämlich alle meine Sorgen: die geliehenen fünfhundert Dinars für den Beamten, fünfhundert hatte ich ja zusammengespart, die zweihundert Euro, die ich bei der Ausreise nachweisen musste, dreihundert Dinars, in Euro übersetzt, die ich meiner Mutter und meinen Schwestern schicken wollte. Heidi sah das Total an und nahm mir den Kugelschreiber aus der Hand. Sie fügte hinzu: eintausend Euro entgangener Lohn, ein zusätzlicher Tausender als Reserve für meine Familie, falls ich die nächsten Monate kein Geld nach Hause schicken würde. Sie schrieb dieses neue Total und strich meine Zahl durch. Ich habe den Zettel heute noch in meinem Zelt. Ihr Name steht im Briefkopf.
Ich konnte in jener Nacht kaum schlafen. Ich musste, nachdem wir uns über den Betrag geeinigt hatten, meine Mutter anrufen. Ich benutzte Heidis Handy, rief meinen Nachbarn an, bat ihn, meine Mutter zu sich zu holen und ihr auszurichten, ich würde in zehn Minuten wieder anrufen. Meine Mutter war schlecht zu Fuß, daher gab ich ihr die zehn Minuten. Aber ich gab sie auch mir, denn ich war aufgeregt und
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