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Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Titel: Der träumende Kameltreiber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amor Ben Hamida
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Zentrale und diese besorgt den Rest. Mann, haben die eine Organisation!
    Auf den Rolltreppen überholen die Eiligen die anderen links, wie auf der Straße. Ich dachte: Wenn sie euch doch schon rollende Treppen bauen, wieso macht ihr euch noch die Mühe, hinauf- und hinunterzulaufen? Ich sollte erst später verstehen, dass der Wert der Zeit bei ihnen etwas anderes ist als bei uns. Ich sah sie in den Zügen bei voller Fahrt arbeiten, mit Handy und PC. Sie machen Business während ihrer Fahrt, versteht ihr? Während wir in den Bussen und Louages schlafen, arbeiten sie! Wir können so viele Kooperationsverträge mit ihnen abschließen, bis uns die Finger vom Unterschreiben wund werden, wir holen sie niemals ein. Sie werden stets Almosen zu uns herunterwerfen.
    Aber, das sollte ich noch früh genug erfahren, sie hatten auch ihre Probleme, gewaltige Probleme, von denen wir Gott sei Dank noch verschont blieben.
    Da die Hausnummer sehr niedrig war, dachte ich, die Wohnung sei unmittelbar beim Bahnhof, denn vom Bahnhofsausgang ging eine große Straße weg. Das musste die Bahnhofstraße sein. War sie auch. Aber die ersten Nummern waren bei einhundert. Ich fragte einen Taxifahrer, der mir erklärte: »Wissen Sie, die Bahnhofstraße fängt am See unten an, darum ist die Nummer vier weit von hier. Sie können es schon zu Fuß oder mit dem Tram Nummer vierzehn erreichen. Aber …« Er wollte bestimmt eine Fahrt verkaufen, doch ich unterbrach ihn: »Danke, ich gehe zu Fuß.«
    Die Nacht war klar, kalt und die Straße so beleuchtet, als feierten sie den Aid. Ich folgte einfach der Bahnhofstraße und die Zahlen wurden kleiner. Aber die endlose Reihe von Läden, Geschäftshäusern, Bankgebäuden wollte nicht abreißen. Einen Moment lang war ich fast in der Heimat. Das Tourismusbüro mit der tunesischen Flagge und dem Zeichen von Tunisair zog mich in den Bann. Ein Stück Tunesien in dieser fremden Stadt!
    Als ich endlich bei Nummer vier ankam, sah ich eine ganze Liste von Namensschildern. Ich suchte alles ab. Da war sie. Meine Heidi. Ich drückte auf den Knopf. Sofort kam ihre Stimme aus einem kleinen Kästchen: »Ja?« Ich antwortete: »Ich bin es, Ahmed.« Dann hörte ich ein Knacksen und dann nichts.
    Eine Minute später stand sie in der Tür und umarmte mich, als wenn ich ihr verschollener Schatz wäre oder nach einer langen Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt wäre. Ich fühlte mich wieder wohl, zu Hause und nicht mehr allein! Wir gingen in ihre Wohnung, die nun alles übertraf, was ich bei ihr in Italien gesehen hatte. Die Wohnung hatte eine ganze Front aus Glas und zeigte auf einen See, den Zürich-See, der im Mondschein funkelte und in dem sich die Lichter unzähliger Häuser spiegelten. Ich traute meinen Augen nicht. Heidi rief jemanden an und sprach diesen Dialekt, der so viel mit unserer Sprache gemeinsam hat: Jeder zweite Laut war ein ‚Cha’ und kam tief aus dem Rachen wie bei uns Khalifa oder Khaled. Sie schien jemanden zu beruhigen. Sie erklärte mir, dass sie ihre Eltern angerufen hätte. Sie hatten sich Sorgen gemacht, auch meinetwegen, aber hauptsächlich wegen ihrer Tochter. Sie würde ja einen Illegalen beherbergen …
    Es war fast elf Uhr nachts. Wir ließen uns durch einen Kurier Essen bringen, chinesisches Essen. Habt ihr noch nie gehabt, was? Ihr habt vieles verpasst, arme Freunde! Chinesisch ist ein besonderes Essen, sie vermischen sauer und süß, scharf und mild, Ente und Lamm. Ihr Gemüse wird fein geschnetzelt und nur kurz gebraten, wesentlich anders als bei uns, wo wir nur große Stücke schneiden und sie verkochen.
    Nach einer langen, heißen Dusche schlief ich wie ein Kamel, das seinen Reiter nach Mekka gebracht hatte. Und wir schliefen aus. Es war fast Mittag, als ich endlich die Augen aufmachte und einen Tag begrüßte, der so hell war wie der Mittag in der Wüste. Heidi schien an jenem Montag nicht arbeiten zu müssen. Sie konnte wahrscheinlich arbeiten, wann sie wollte, sie war schliesslich ihr eigener Chef…«
    Ahmed musste seine Erzählung kurz unterbrechen, denn ein Motorrad ratterte auf sie zu, sein Licht spielte auf dem Sand Zickzack, es schien schlecht befestigt zu sein.
    »Ich habe Süßigkeiten für euch besorgt. Sie hätten um zehn hier sein sollen, aber eine halbe Stunde Verspätung ist für uns kein Grund zur Aufregung. Ich wollte euch nicht zu lange aufhalten ohne etwas zwischen den Zähnen. Es sind Baqlawas aus der Patisserie du Sahel und Makroudh, Mehchi für die Mutigen, die es

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