Der träumende Kameltreiber (German Edition)
befragt. Sie bestätigten alle, dass der Typ mich bis aufs äußerste provoziert hatte. Aber das war wohl nicht mehr relevant. Die Ausweisung war beschlossene Sache. Es ging direkt zum Revier ins Dorf, aber dort waren die irgendwie nicht zuständig, denn auch in der Schweiz kennen sie zwei Sorten von Polizei, mindestens. Diejenigen, die mich abgeholt hatten, gehörten zu dieser winzigen Gemeinde Rüschlikon, aber zuständig waren die Jungs von der Kantonspolizei, wie bei uns Schorta und Harass. Ich wurde also in die Stadt gefahren. Ich fragte, ob ich telefonieren dürfte und der Polizist, der auf dem Beifahrersitz saß, sagte, ich dürfte. Ich rief selbstverständlich Heidi an …
Wir redeten von Rüschlikon bis Zürich, bis zu jenem Moment, als mir der Polizist die Tür aufmachte und mich aufforderte, das Gespräch zu beenden. Ich konnte noch die Adresse erfragen, wo ich hingebracht wurde, und dann musste ich auflegen. Meine Papiere wurden kopiert, ich wurde noch mal ausführlich befragt und meine Aussage wurde zu Protokoll genommen. Man gab mir einen Kaffee und steckte mich dann in eine Zelle.
Ich weiß nicht, warum sie mich in eine Einzelzelle steckten. Vielleicht hatten sie an jenem Abend viele freie Plätze, es war ja ein Wochentag, oder aber sie wollten mich zu niemand anderem legen, weil sie befürchteten, ich würde ihm etwas antun, wenn er mir auch nur guten Abend wünschte. Ich lag auf der Pritsche, lachte über mich selber und wusste, dass ich nicht in diese Welt passte. Ein Mann, der mit Kamelen an einem nordafrikanischen Strand spaziert, passt nicht in eine Welt von Banken und Schokolade. Was hatten diese Menschen mit mir gemeinsam? Keine Vergangenheit, keine Zukunft, nicht einmal unsere Gegenwart glich sich. Ich hoffte, dass sie mich am nächsten Tag in ein Flugzeug verfrachten würden, aber der Polizist sagte mir, dass er zunächst einmal einem Richter Bericht erstatten müsste, der eine Untersuchung einleiten würde, dann über meinen Fall entscheiden müsste, und sein Entscheid würde dann in die Tat umgesetzt.
Es war fast Mitternacht, als ein Beamter meine Zelle öffnete und mich aufforderte, in den Besuchsraum zu gehen, jemand würde mich dort erwarten. Ihr müsst euch das nicht so vorstellen wie in den amerikanischen Gangsterfilmen, mit Gittern und Telefon und so. Nein, es war ein gemütlicher Raum mit einem Tisch und mehreren Stühlen. Als ich eintrat, stand Heidi auf und umklammerte mich, sie weinte, heulte, schrie fast, und ich konnte endlich stark sein, endlich ein Mann sein, ihre Tränen abwischen und sie zart und beschützend in meinen Armen festhalten, tröstend, beruhigend, versichernd. Als sie auf mich einschlug und schluchzend fragte: ,Warum hast du das gemacht, der Mann war doch betrunken und eine Schlampe nennt man hier sogar eine Nonne!’, da nahm ich ihr wunderschönes Gesicht in die Hände und antwortete: ,Es musste sein, Habibi, es musste sein. Gott hat mir eine gewisse Zeit mit dir gegönnt, eine bestimmte Anzahl Tage und Nächte, dann schickte er mich in dieses Lokal, um mich mit diesem Ungeheuer bekannt zu machen, das dann meinen Aufenthalt hier besiegeln sollte. Es musste sein!’
Sie glaubte nicht an Schicksal. Sie glaubte nicht an das, was dir vorgeschrieben ist. Sie glaubte nur daran, dass du für alles verantwortlich bist, was du tust, und für die Konsequenzen deiner Taten. Wie recht hatte sie doch! Wisst ihr, dass ich heute ein reicher Mann sein könnte? Hätte ich diesen Idioten überhört, hätte ich Heidi geheiratet, hätte ich mich in die Kunst der Schokoladenfabrikation einführen lassen oder in deren Verkauf, dann wäre ich heute ein gemachter Mann. Aber ich glaubte eben fest daran, dass ein Mann seinem Schicksal nicht entrinnen kann. Und da waren Heidi und ich ganz verschieden. Ich gab oft die Schuld weiter, an Gott, das Schicksal, den Lauf des Lebens, während sie stets sagte: ‚Mist, ich habe das falsch gemacht’, und sich sofort daranmachte, es zu korrigieren. Dieser Fatalismus, Freunde, der uns Arabern eigen ist, hindert uns daran, vorwärtszukommen. Wir werden für unseren Misserfolg immer einen Schuldigen finden, aber selten sagen, dass wir selber verantwortlich sind.
Auf der anderen Seite, seid doch ehrlich, wer von euch hätte seine Prinzessin eine Schlampe nennen lassen und dabei kaltblütig gelächelt? Das werfe ich diesen Menschen vor: Sie lassen alles mit sich machen. Die Frechen, Starken, Unanständigen machen mit den anderen, was sie wollen.
Weitere Kostenlose Bücher