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Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Titel: Der träumende Kameltreiber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amor Ben Hamida
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nicht geben. Ein normaler Mensch tut das hier?
    Mein Tischgenosse erklärte mir, dass diese Welt nun langsam untergehen würde, dass Erwachsene Kinder vergewaltigten, Männer ihre Kinder und Frauen und dann sich selber erschossen, dass Hunde Kleinkinder töteten und Frauen ihre Babys von den Balkonen warfen oder sie nach der Geburt einfach in den See schmißen.
    ‚Was haben sie mit dem Mann gemacht, der deine Tochter vergewaltigt hat?’
    ‚Er hat nach Abzug von Untersuchungshaft und einem psychiatrischen Gutachten drei Jahre bekommen und läuft wieder frei herum.’
    ‚Drei Jahre?’, rief ich aus. ‚Weißt du, was so einem bei uns blüht? Bei uns steht auf so etwas lebenslänglich. Und das ist wortwörtlich so lange er lebt. Und in gewissen arabischen Ländern bekommt so einer die Todesstrafe! Ich verstehe, warum du trinkst. An deiner Stelle würde ich aufhören zu trinken und eine Bande junger starker Schwarzafrikaner organisieren.’
    Er schaute mich verständnislos an. Ich schob meine Tasse beiseite, beugte mich zu ihm und flüsterte: ‚Wäre sie meine Tochter, ich schwöre dir, ich würde diesen Mann sieben Nächte lang vergewaltigen lassen, von sieben starken schwarzen Afrikanern. Und scheiß drauf, ich würde dann auch drei Jahre ins Gefängnis gehen. Es ist ja sowieso beheizt im Winter, habe ich gelesen, und zu essen bekämst du auch. Was sind drei Jahre Gefängnis für deine Seele, Mann?’
    Ich schwöre euch, als er bezahlte, aufstand und ging, hatte dieser Mann einen fürchterlichen, entschlossenen Blick im Gesicht. Ich weiß nicht, ob er meinen Vorschlag für bare Münze nahm. Aber ich hatte so eine Wut im Bauch! Was war das für eine Scheinwelt? Eine Scheißwelt war das, wenn kleine Mädchen vergewaltigt wurden und die Täter im Gefängnis fernsehen durften!
    Ich nahm noch einen Kaffee, mir wurde fast schlecht nach dieser Geschichte. Die Frauen am Tisch neben mir schauten lüstern zu mir und machten mir mit ihren Blicken und Zungen obszöne Zeichen, die ich zu übersehen versuchte. Einige von ihnen waren verkleidet und machten einen höllischen Lärm mit Trompeten und Trommeln. Und immer wieder musste jemand auf die Toilette rennen …
    Ein junger Mann torkelte an meinen Tisch und setzte sich, ein großes, nein, ein enormes Glas Bier in der Hand, es muss ein Litermaß gewesen sein. Er schaute mir tief in die Augen. Dann schaute er zu den anderen und fluchte, fuchtelte, schimpfte und schrie sie alle an. Sie seien Schlampen und Schlappschwänze, Idioten, Huren, Nichtsnutze. Er sagte allen alle Schande. Mich aber verschonte er. Er sprach zu mir, meinte aber die anderen. Er schaute mich an und zeigte auf die anderen Gäste. Seine Worte waren für mich nicht alle verständlich. Was mich erstaunte war aber, dass dieser Typ einen scharfsinnigen Geist und einen klaren Blick hatte. Er lallte nicht wie die nebenan. Und auch nicht wie der Vater der armen Vergewaltigten, als er sein viertes Bier hinuntergekippt hatte.
    Nein, dieser junge Typ sah aus, als wenn er besoffen spielte. Ich wollte ihm und seinem Blick ausweichen, denn ich ahnte nicht Gutes. Bei den Kamelen ist es auch so: Es gibt Momente, da gibst du lieber nach …
    Er schimpfte über alle Anwesenden, die er allesamt zu kennen schien. Er sprach so laut, dass ihn alle hörten, aber niemand wagte, gegen seine Attacken etwas zu tun. Vielleicht kannte man ihn und dachte, er sei ein Verrückter. Ich fiel nicht drauf rein. Er war kein Verrückter. Es waren sein gepflegtes, sauberes Haar, sein korrekt und regelmäßig geschnittener Bart, die mich stutzig machten. In meiner Situation dachte ich natürlich, dass er vielleicht ein Polizeispitzel war, der illegale Einwanderer auslieferte. Und er fing an, mir die Geschichten dieser Menschen zu erzählen.
    ‚Sieh dir Vreni an, ihr Mann hat sie vor Kurzem wegen einer jungen Schlampe verlassen. Seither trinkt sie von morgens bis abends. Na, Vreni, hast du den Sauhund immer noch gern?’
    Der Wirt stand hinter seinem Tresen und sagte: ‚Lass die Leute in Ruhe, Charly.’
    So, so, dachte ich, jetzt weiß ich deinen Namen, du Clown, Charly also. Dann wandte sich der Junge zu mir und blickte mir tief in die Augen.
    ‚Das sind alles Versager. Sie gehen blind durch das Leben und sehen weder links noch rechts. Ich war in aller Herren Länder, ich kenne die Welt. Ich habe in Katmandu Tee getrunken und Bier in Amsterdam, Wein in Rom und Champagner in Paris. Ich war überall, verstehst du, ich kenne mich mit Menschen

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