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Der Trafikant / ebook (German Edition)

Der Trafikant / ebook (German Edition)

Titel: Der Trafikant / ebook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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oder die Böhmen oder was weiß ich, wer sich das Hakenkreuz nicht ins Hirn brennen lässt, der ist dran, wer seinen Arm nicht in den Himmel streckt, kann schon im Hotel Metropol buchen, ein Zimmer ohne Wiederkehr, in Wien hat es sich ausgetanzt, und im Prater geht die schwarze Pest um, hast du es nicht gesehen, die sitzen schon draußen, saufen ihr Bier und warten nur darauf, den nächsten Trafikanten oder Juden oder Witzeerzähler ins Feuer zu schmeißen, Anezka, ich weiß nicht, ob du mich noch willst, und ich weiß nicht, ob ich dich noch will, das ist jetzt auch egal, draußen sitzt die SS und klingelt mit den Sporen, aber vielleicht können wir weggehen, wir beide zusammen, mein ich, irgendwohin wo es ruhig ist, nach Böhmen von mir aus, hinter den dunklen Hügel, oder ins Salzkammergut, die Mama hätt bestimmt nichts dagegen, ich könnte eine Trafik aufmachen, und wir könnten heiraten, einfach so, weil dem lieben Gott ist das sowieso egal, und du wärst dann eine …«
    In diesem Augenblick ging die Tür auf, und der käsige junge Mann kam herein. Er hatte seine Mütze unter den Arm geklemmt und blickte sich interessiert um. An seiner Dolchkette klickerten die Totenköpfchen. Franz fühlte, wie sich seine Nackenmuskeln anspannten. So, dachte er, gleich wird die Tür noch einmal aufgehen, und noch mehr schwarze Uniformen werden hereinpoltern. Oder schweigend hereinschleichen wie große, schwarze Vögel. Am liebsten wäre er einfach aus der Garderobe und aus der Grotte gerannt, den ganzen Weg zurück, den Kahlenberg hinauf, auf der anderen Seite gleich wieder hinunter und immer weiter, die Donau entlang, bis zu ihrer Quelle und darüber hinaus. Aber das ging jetzt nicht mehr. Hier stand er. Hier stand Anezka. Und das war alles. Er atmete einmal tief aus und einmal tief ein, trat dann einen Schritt nach vorne, verschränkte die Arme vor der Brust und sagte: »Mein werter Herr, ich möchte Ihnen in aller Höflichkeit mitteilen, dass es mir ehrlicherweise volkommen egal ist, ob Sie eine schwarze Uniform anhaben oder eine blaue oder eine gelbe und ob Sie Totenköpfe oder Kieselsteine oder hinterfotzige Gedanken um den Bauch hängen haben. Allerdings überhaupt nicht egal ist mir dieses böhmische Mädchen hier. Sie ist nämlich Künstlerin und hat ansonsten niemandem etwas getan. Außer, dass sie mich geküsst, respektive erweckt hat und deswegen unter meinem ganz persönlichen Schutz steht. Darum möchte ich Sie, mein werter Herr, hiermit inständig und aufrichtig ersuchen, uns doch in Ruhe zu lassen. Und wenn es ums Verrecken nicht anders gehen will und Sie Ihrem Sturmführer oder Bannführer oder Sturmbannführer oder sonst irgendeinem anderen Führer unbedingt von der Arbeit etwas mitbringen müssen, dann nehmen S’ halt in Gottes Namen mich mit!«
    Der junge Mann blinzelte. Seine Wimpern waren lang und sanft geschwungen, seine Stirn hoch, glatt und weiß. Er blickte zu Anezka. Sie seufzte, schien kurz zu überlegen, blies sich eine verirrte Haarsträhne aus der Stirn und seufzte noch einmal. Dann trat sie an ihn heran, umfasste mit beiden Armen seinen Oberköper, schmiegte sich an ihn und legte ihre Wange an seine Schulter, genau an die Stelle, wo zwei dicke, weiße Kordeln von den Schulterklappen herunterbaumelten.
    »Ach so ist das«, sagte Franz nach einer Weile. Anezka blinzelte träge.
    »Ja, so ist das«, antwortete sie. Franz blickte zur Decke hoch. Für einen Moment kroch ihm ein Gedanke hinter die Stirn, so schmutzig und gemein wie der Lurch, der dort oben zwischen den Bretterritzen heraushing. Doch er verscheuchte ihn wieder. Stattdessen hätte er gerne mit bloßen Händen ein Loch in die Wand gerissen und wäre einfach hindurchgegangen, nur ein paar Pratergässchen weiter bis zum Riesenrad. Er hätte gerne eine der Gondeln bestiegen und sich so lange im Kreis drehen lassen, bis der Schmerz vorüber war. Anezkas rosiger Zeigefinger spielte mit den Kordelschnüren an ihrer Wange. Der junge Mann hatte seine Hand an ihren Nacken gelegt und fing an ihren Haaransatz zu kraulen.
    »Man müsste vielleicht …«, sagte Franz und stockte.
    »Was?«, fragte Anezka und legte ihre Hand auf die Hand in ihrem Nacken.
    Franz zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht« sagte er. »Ich weiß es wirklich nicht.« Dann drehte er sich um und ging.
    Als er sich an den Tischen vorbei zum Ausgang drängelte, legte der zitronengelbe Conférencier gerade eine elegante Verbeugung hin und schwenkte dabei seinen Hut über der

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