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Der Trafikant / ebook (German Edition)

Der Trafikant / ebook (German Edition)

Titel: Der Trafikant / ebook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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ledernen Posttaschenschulterriemen, blickte in den Zeitschriftenregalen umher, gähnte, zupfte an seinem Krawattenknoten und räusperte sich noch einmal.
    »Sie werden es ja sicher gehört haben«, sagte er endlich und beugte sich etwas näher zur Verkaufstheke hin. »Wo Sie doch gewissermaßen in näherer Bekanntschaft mit dem Herrn Professor stehen!«
    »Mit welchem Professor denn?«
    »Na mit dem Deppendoktor.«
    »Das kann schon sein«, sagte Franz und tat recht uninteressiert. Obwohl er insgeheim ein wenig geschmeichelt war von dieser quasi öffentlich-amtlichen Einschätzung seiner Beziehung zu dem Professor. Besonders sorgfältig tupfte er mit seinem Tintenschwämmchen die Füllfederspitze ab. »Was genau soll ich denn da gehört haben?«
    »Na, dass der Professor fortgeht. Raus aus der Berggasse, raus aus Wien, raus aus Österreich, mitsamt Familie und Wohnungseinrichtung und allem Drum und Dran!« Franz nickte. Etwas Ungutes stieg ihm in den Hals, pfropfte sich dort für einen Augenblick fest, bevor es weiter hinaufstieg, sich irgendwo hinter den Augen ausweitete und seinen ganzen Kopf zu füllen schien. »Soso«, sagte er und blickte auf die Spalten hinunter, in denen seine tintenfrischen Einträge zu einem einzigen blauen Zahlenbrei verschwammen.
    »Ja, so ist das«, setzte der Briefträger mit einem eifrigen Nicken nach, »weil der Professor ist ja auch einer von denen. Ein Jud, meine ich. Und als Jud auf der einen Seite und als Professor auf der anderen wird er sich halt gedacht haben: Bevor es endgültig ungemütlich wird, geh ich lieber!«
    »Aha«, sagte Franz, »wohin will er denn gehen?« Heribert Pfründner richtete sich auf und zuckte mit den Schultern. »Nach England angeblich. Dort hat er vielleicht seine Ruhe. Außerdem gibt es eine Königin und wahrscheinlich noch genug Deppen, die ihm was für seine Ideen bezahlen.«
    »Aha«, wiederholte Franz. »Und wann soll es losgehen?«
    »Morgen, Herr Trafikant«, sagte der Briefträger und schleuderte mit einer runden Bewegung seines Oberkörpers die nach vorne gerutschte Posttasche auf den Rücken zurück. »Morgen Nachmittag um drei!«
    Nachdem der Briefträger die Trafik verlassen hatte, dauerte es eine Weile, bis Franz’ innerlich erglühter Kopf einigermaßen abgekühlt und imstande war, sinnvolle Handlungen einzuleiten. Jetzt ging also auch der Professor. Alle gingen. Es war, als ob sich die ganze Welt aufmachte, irgendwohin zu gehen. Dabei war er selbst doch gerade erst gekommen! Er verstaute Buchhaltung und Schreibzeug in der Verkaufstheke, ging nach hinten, spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, kämmte sich mit den Fingern durch die Haare, ging wieder nach vorne, suchte aus der Kiste mit den Hoyos drei besonders schöne, pralle und duftende Exemplare heraus, wickelte sie in den Kulturteil eines Bauernbündlers , steckte sich das Päckchen unters Hemd, sperrte die Trafik zu und machte sich auf den kurzen Weg zur Berggasse Nr. 19.
    Die beiden Zivilen waren schon von Weitem zu erkennen. Dicht nebeneinander saßen sie auf der kleinen Bank, einer hatte seinen Kopf in den Nacken gelegt und schien die Tauben in den Dachrinnen zu beobachten, der andere saß in leicht vornübergebeugter Haltung und starrte aufs Pflaster hinunter. Es sah aus, als säßen sie seit sehr langer Zeit so da, die Hintern an die Bank genagelt und völlig unbeweglich, doch als Franz am Tor angelangt war und seinen Zeigefinger auf die Ordinationsklingel des Professors legte, standen sie plötzlich hinter ihm.
    »Wo willst denn hin?«, fragte der Jüngere der beiden.
    »Na da hinein«, antwortete Franz.
    »Zu wem?«
    »Zum Professor.«
    »Wozu?«
    »Ich bring ihm seine Theaterkarten!«
    »Was für Theaterkarten?«
    »Burgtheater selbstverständlich«, sagte Franz. »Erste Reihe Mitte Parkett. Schiller, glaub ich, oder Goethe. Jedenfalls was Ernstes!«
    Der ältere Kollege trat einen Schritt an Franz heran, blickte ihm aber nicht in die Augen, sondern schien eine Stelle an seiner Stirn oder irgendwo knapp darüber zu fixieren. »Für Juden gibt es heute keine Vorstellung«, sagte er. Und auch morgen nicht. Und übermorgen schon gar nicht. Für Juden hat es sich endgültig ausgespielt. Und deswegen schleichst dich jetzt wieder mitsamt deinen Theaterkarten, und zwar schnell. Sonst steck ich sie dir so tief in dein Oarschloch hinein, dass sie nicht einmal ein Kuhdoktor finden wird!«
    Franz ging langsam die Berggasse hinunter. Die Zivilen waren zur Bank zurückgekehrt und hatten

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