Der Trafikant / ebook (German Edition)
schweißnassen Glatze. Und noch nachdem er die Grotte längst verlassen hatte und durch die schmale Bretterzaungasse langsam in Richtung Riesenrad steuerte, konnte er hinter sich den gedämpften Applaus hören. Er musste an die Fledermäuse denken, die er als Bub so oft beobachtet hatte und die tagsüber fast reglos an der Decke der Unteracher Kalksteinhöhle hingen und sich erst kurz nach Sonnenuntergang wie auf ein stilles Zeichen von der Decke lösten und in einem gewaltigen Schwarm in die Nacht hinausrauschten.
Seitdem die Nazis mittlerweile in ganz Wien und dementsprechend natürlich auch in der Wiener Postzentrale endgültig das Sagen haben, dachte der Briefträger Heribert Pfründner während er die letzten Meter die Berggasse hinaufstapfte, hat sich ja immerhin nicht alles zum Schlechten und zugegebenermaßen manches vielleicht sogar zum Guten verändert, so viel muss man denen ehrlicherweise schon zugestehen. Zum Beispiel, dachte er weiter, heißen die Briefmarken jetzt Postwertzeichen und sind insgesamt schöner, weil bunter und irgendwie beeindruckender als früher, mit den Adlern und Menschenmengen und Danziger Wappen und den vielen anderen Sachen. Auf manchen Marken war jetzt auch der Führer abgebildet. Im Grunde genommen und trotz der ganzen Deutschtümelei war der Führer immer noch ein Österreicher, dachte Heribert Pfründner, ein waschechter Oberösterreicher aus der zwar schönen, aber doch recht unscheinbaren Ortschaft Braunau am Inn, und also wird der schon wissen, was für so ein Land mitsamt seinen Einwohnern und Postkunden alles gut ist. Wenn nämlich der Führer nicht wüsste, was er macht, wäre er schließlich kein Führer, sondern allerhöchstens Bürgermeister oder Gemeinderatsvorsitzender oder Gemeinderatskassenwart von Braunau am Inn. Obwohl manche Sachen schon auch fragwürdig daherkommen, dachte er, während er den blechernen Geräuschen nachhorchte, die die Kuverts und Postkarten in der Tiefe der Briefkästen des Eckhauses Berggasse/Währingerstraße erzeugten. Zum Beispiel diese Geschichten mit den Juden, die man in letzter Zeit immer öfter hörte: ob es nicht eigentlich doch ein bisschen eine Sauerei war, die Juden aus ihren Wohnungen, Geschäften und Ämtern, insbesondere auch aus allen Postämtern zu schmeißen und sie obendrein noch auf den Knien die Gehsteige auf und ab rutschen zu lassen? Oder diese ungute Sache mit den Briefen, von der man sich in Kollegenkreisen hinter vorgehaltener Hand erzählte. Von ausgedehnten Kellergeschossen unter der Postzentrale war da die Rede, von gleißend hellen Räumen, in denen hunderte Männer und Frauen im Schichtbetrieb Briefe öffneten und je nach Inhalt entweder zur endgültigen Verschickung freigaben oder der Postobrigkeit zur eingehenderen Begutachtung zukommen ließen. Und wirklich musste man ja mittlerweile schon fast jeden zweiten Brief im aufgeschlitzten Kuvert zustellen, was natürlich nichts anderes als eine ausgemachte Schande für jeden einigermaßen ehrenhaften Briefträger und damit insbesondere auch für ihn, Heribert Pfründner, den bekanntermaßen ehrenhaftesten Briefträger des Abschnittes Alsergrund/Rossau und darüber hinaus, darstellte. Aber gut, dachte er, was ging ihn das alles an: Er selber bekam schon lange keine Post mehr, und die wenigen Jahre bis zur Rente würde er auch noch irgendwie herunterkeuchen. Außerdem war er kein Jude, sondern ursprünglicher Obersteiermärker und hatte dementsprechend einen bis in die Steinzeit sauber nachvollziehbaren Stammbaum.
In solchen und noch ganz anderen Gedanken war Heribert Pfründner schließlich in der Währingerstraße vor der kleinen Trafik angelangt, kramte aus seiner mittlerweile angenehm schlapp von der Schulter baumelnden Posttasche ein Exemplar des Alsergrunder Bezirksblattes sowie ein paar bunte Prospekte heraus, warf einen kurzen Blick auf den heutigen Traumzettel an der Auslagenscheibe, stieß die Tür auf und betrat den Verkaufsraum mit einem für seine Verhältnisse ziemlich wohlgelaunt dahingenuschelten »Heilitler!«
Hinter der Theke blickte Franz von seiner Buchhaltung auf, mit der er sich schon die halbe Nacht und den ganzen Morgen herumgemüht hatte, und nickte dem Briefträger entgegen. »Lieber Herr Postler«, sagte er müde, »den Hitler können Sie sich sonstwo hinstecken, ansonsten wünsche ich Ihnen einen guten Morgen!«
Heribert Pfründner tat, als ob er nichts gehört hätte, räusperte sich umständlich, knarzte ein bisschen mit seinem
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