Der Trakt
geöffnet war, an denen Veranstaltungen stattfanden.
Sibylle las und registrierte es, wollte sich aber einfach nicht damit abfinden, dass sie an diesem Tag nichts mehr würde tun können. Mit der flachen Hand schlug sie mehrmals gegen das Türglas und rief dabei laut: »Hallo«.
Christian entfernte sich ein paar Meter vom Eingang, und nach einer Weile sah auch Sibylle ein, dass es wohl keinen Zweck hatte, aber als sie sich gerade abwenden wollte, wurde es hinter der Eingangstür hell. Jemand hatte im Inneren die Beleuchtung eingeschaltet, und nur Sekunden später tauchte die hagere Gestalt einer mürrisch dreinblickenden, alten Frau mit lila gefärbten Dauerwellen auf und fragte durch die geschlossene Tür, was dieser Krach zu bedeuten habe.
Sibylle war mit einem Mal so aufgeregt, dass sie fast kein Wort herausbrachte. »Bitte, ich muss … unbedingt mit Ihnen sprechen, bitte.«
Sie hatte wohl zu leise gesprochen, denn die Frau sah sie verständnislos an. Sie wiederholte ihre Worte, nun deutlich lauter, und fügte noch hinzu: »Es ist sehr wichtig.«
Die lilafarbenen Dauerwellen wurden hin und her geschüttelt.
»Morgen früh ab zehn«, klang es dumpf durch das Glas.
»Nein, bitte. Es ist wirklich wichtig! Es geht … hören Sie, mein Kind ist verschwunden und ich brauche Ihre Hilfe.«
Sibylle hatte es fast geschrien, so laut, dass man wohl noch hundert Meter weiter jedes Wort hätte verstehen können. Nun legte sie die Stirn gegen das kalte Glas und sah die alte Frau an, die abrupt stehen geblieben war. Sie spürte, dass ihr Tränen über die Wangen liefen.
Gut. Tränen sind gut.
Von schräg hinter ihr sagte Christian: »Aber was redest du da? Glaubst du etwa immer noch …« Er stockte, als die Frau sich innen an dem Türschloss zu schaffen machte.
Sibylle antwortete ihm nicht. Sie machte einen Schritt zurück und wartete, bis die Tür geöffnet war und die Frau vor ihr stand.
»Was sagen Sie da?«, knurrte sie und runzelte die sowieso schon runzelige Haut ihrer Stirn so sehr, dass tiefe Gräben zwischen den Hautfalten entstanden.
»Danke, dass Sie mir zuhören!« Sibylle wischte sich die Tränen fort. »Ich brauche dringend eine Liste der Besucher, die vor zwei Wochen hier beim Maffay-Konzert waren.« Die Alte sah Sibylle an wie ein Wesen aus einer anderen Welt, und so schob sie hastig nach: »Es geht um meinen Sohn, Lukas. Er ist spurlos verschwunden, und diese Liste könnte mir vielleicht helfen, ihn zu finden. Verstehen Sie, wie wichtig das für mich ist?«
Der Blick der Frau wanderte zu Christian, der ihm mit unbewegter Miene begegnete, und wieder zurück zu Sibylle.
»Eine Namensliste? Von Konzertbesuchern? Ja, wo soll ich denn die Namen hernehmen? So was gibt es nicht.«
Sie schüttelte noch einmal ihr lila gefärbtes Haar, aber dieses Mal in einer Art, die ausdrücken sollte, was sie von Sibylles Anliegen hielt. Mit einem zischenden Laut wandte sie sich ab und schloss die Tür wieder hinter sich.
Sibylle sank in sich zusammen. Nicht körperlich, nicht etwa so, dass jemand etwas davon bemerkt hätte. Es war ihre schwache Hoffnung, zart und arg gebeutelt, die wieder einmal wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel.
Sie drehte sich zu Christian um, sie drückte wortlos das Gesicht an seine Schulter und schloss die Augen.
Es gab in diesem Moment nichts, was sie tun konnte. Nichts, worauf sie hoffen konnte.
Einfach nichts.
Sie war so unendlich müde.
Sie spürte, dass Christian ihr über das Haar strich, und drückte sich ein Stück von ihm ab. »Lass uns ein Hotel suchen. Ich möchte mich hinlegen und schlafen.«
Als sie in das wartende Taxi einstiegen, sagte Christian dem Fahrer etwas von einem Hotel, aber das registrierte Sibylle nur am Rande. Sie hatte wieder die Augen geschlossen und sich der Leere ergeben.
»Morgen fahren wir zurück nach Regensburg und statten deinem Mann einen Besuch ab. Ich bin sicher, es wird sich nach und nach alles aufklären.« Christian bedachte sie mit einem Lächeln, das wohl Zuversicht ausstrahlen sollte, aber sie sah ihm an, dass er selbst nicht daran glaubte.
»Ja«, sagte sie und spürte, dass es sich falsch anfühlte, dieses
Ja.
Sie wusste, dass München irgendeine Rolle spielte und dass sie die Stadt noch nicht verlassen wollte, aber das sagte sie ihm nicht. Erst einmal musste sie schlafen.
Das Hotel, vor dem der Fahrer sie absetzte, machte einen gepflegten Eindruck. Als sie vor dem verhältnismäßig großen Rezeptionstresen standen, überließ
Weitere Kostenlose Bücher