Der Trakt
sagte sie mit brüchiger Stimme. »Hätte ich nicht diesen Blödsinn von den vielen Männern erzählt, wäre es nie dazu gekommen. Ich habe das Leben meines Kindes leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Und mein Kind hat dieses Spiel verloren.«
»Aber das ist doch …« Sibylle sah ihr an, dass es keinen Zweck hatte, etwas dagegen zu sagen. »Und … du bist bei ihm geblieben?«
Rosie nickte. »Ja, noch dreiundzwanzig lange Jahre.«
»Und hat er dich … wieder geschlagen?«
»Ja. Dreiundzwanzig lange Jahre. So lange habe ich für den Tod meines Kindes gebüßt. Bis er sich die Leber so zerstört hatte, dass er krepiert ist.«
Sibylle wusste nicht, was sie noch sagen sollte.
Sie schrak heftig zusammen, als Rosie sich auf die Schenkel schlug und sich erhob. »So, genug davon. Jetzt weißt du zumindest einen Grund, warum ich dir von Anfang an helfen wollte, dein Kind zu finden. Jetzt müssen wir uns aber überlegen, was wir unternehmen. Eine Möglichkeit wäre, dass wir den Kerl der Polizei übergeben und denen die ganze Geschichte erzählen. Auch die Sache mit dem korrupten Kommissar Wisso … wie heißt er noch?«
»Martin Wittschorek«, sagte Sibylle. »Ich weiß nicht, Rosie. Was sollen wir der Polizei erzählen? Dass ich in Regensburg entführt wurde, wo mich kein Mensch mehr kennen will? Wo mich sogar die Polizei als mögliche Komplizin der Entführer sucht? Und das mit Wittschorek – wie soll man das beweisen? Mir glaubt doch sowieso niemand mehr irgendwas. Dann dieser falsche Dr. Muhlhaus. Selbst wenn ich ihn unter den Mitarbeitern finden würde – wie soll ich beweisen, was er getan hat? Nein, Rosie, ich glaube, das hat keinen Zweck.«
Jane Doe,
hatte Robert sie genannt.
Hat er nicht recht gehabt? Bin ich nicht so gut wie tot? Jane Doe. Unbekannte Leiche, weiblich.
»Gut, dass du das so siehst«, meinte Rosie, »ich denke das eigentlich auch. Die Polizei wird wahrscheinlich wenig tun können, und der Typ da drin ist mit einem guten Rechtsanwalt in zwei Stunden wieder auf freiem Fuß. Wir haben meiner Meinung nach nur eine Möglichkeit: Wir müssen versuchen, selbst rauszufinden, was es mit dieser Firma auf sich hat.«
Sie legte eine Hand auf Sibylles Schulter. »Was denkst du?«
Als Sibylle nicht gleich reagierte, klatschte Rosie in die Hände. »Nun komm schon! Diese Leute haben dich entführt und misshandelt, die haben dir dein ganzes Leben weggenommen, Sibylle! Sollen die damit etwa durchkommen? Und der nächsten Frau vielleicht wieder so was antun? Sibylle?«
Sibylle sah diese Frau an, die selbst schon so viele schreckliche Dinge erlebt hatte. So viele Schmerzen, körperliche und vor allem seelische. Die ihr Kind verloren hatte.
Die ihr Kind verloren hat …
»Okay«, sagte sie, und sie spürte, dass es richtig war.
»Dann los. Immerhin haben wir doch da nebenan jemanden sitzen, den wir vielleicht als Pfand benützen können. Lass uns mal nach der Kanaille sehen.« Sie wandte sich ab und verließ das Badezimmer. Sibylle folgte ihr.
Robert saß zwar unverändert mit den Händen hinter dem Rücken auf dem Stuhl, aber Rosie ging trotzdem um ihn herum und kontrollierte, ob der Strick noch saß. Sibylle setzte sich auf die Bettkante und sah ihn an.
»Erklär mir, warum habt ihr mein ganzes Leben kaputtgemacht? Was habe ich euch denn getan? Ihr habt mir doch nicht nur die Erinnerung an Lukas eingepflanzt. Was soll das mit Johannes und Elke? Warum sehe ich anders aus? Bin ich … – bin ich überhaupt Sibylle Aurich, hm?«
Er schüttelte den Kopf und lachte dabei meckernd. Es wirkte in seiner Situation irre und jagte Sibylle einen eiskalten Schauer über den Rücken. Im nächsten Moment war der Spuk vorbei, und er sah sie grinsend an. »Wenn du wüsstest. Ich würd’s dir wirklich gerne erzählen, aber leider …«, er schnalzte mit der Zunge, wie man es tat, wenn man die Aufmerksamkeit eines Hundes auf sich ziehen möchte, »leider geht das nicht.«
»Vergiss es, Sibylle«, mischte sich Rosie ein, »ich glaube sowieso nicht, dass Herr Drecksack viel weiß. Der ist ein kleiner Handlanger, der nur die nötigsten Informationen hat. Sein Intellekt reicht gerade eben aus, um Frauen anzulügen. Siehst du nicht, was für ein Waschlappen das ist?«
Das Grinsen verschwand aus Roberts Gesicht. Er zerrte so heftig an seinen Fesseln herum, dass er fast mit dem Stuhl umgekippt wäre.
»Um dich werde ich mich persönlich kümmern, wenn es so weit ist, du rote Hexe«, zischte er und zog noch ein
Weitere Kostenlose Bücher