Der transparente Mann (German Edition)
dann?«
»Ich habe verschlafen.«
»Dann geh früher ins Bett, anstatt dir mit deinem Verehrer die Nacht um die Ohren zu schlagen. Noch nicht einmal vorgestellt hat er sich bei uns! Hält sich wohl für was Besseres. Ich kenne solche Kerle mit ihren schicken Autos. Glaubst du wirklich, der wird dich heiraten?«
Joe ging einfach an ihm vorbei und versuchte, ihren Zorn zu kontrollieren. »Warum nicht?«, meinte sie wider besseres Wissen etwas patzig, denn sie spürte, wie sich plötzlich die emotionalen Schleusen öffneten. Fast wäre sie in Tränen ausgebrochen. Ja, ihr Vater hatte wirklich Recht. Dabei konnte er nicht ahnen, wie nahe seine Worte der Wahrheit gekommen waren. Jetzt war es unwiederbringlich vorbei, dass sie ihm das Gegenteil beweisen konnte. Wie gern hätte sie ihn heute zum Abendessen mit Konstantin eingeladen! Er hätte dann die zärtlichen Blicke sehen können, mit denen Konstantin sie früher liebkost hatte, und Joe hätte ihrem Vater stolz ins Gesicht gelacht.
»Wo ist eigentlich die Pumpe von der Hebeanlage?«, unterbrach ihr Vater diese Gedanken, während er sie hartnäckig auf dem Weg zum Bauwagen verfolgte. »Hast du sie gut weggesperrt? Du weißt, die klauen hier alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Und die Leitungen sind immer noch nicht fertig isoliert. Dir ist klar, dass wir eine Verzugsstrafe aufgebrummt kriegen?«
»Die Pumpe ist da, wo sie hingehört.«
»Und die Leitungen?«
»Wir haben noch zwei Wochen Zeit.« Joe klang im höchsten Maße genervt.
»Die vergehen schnell. Wie willst du das noch schaffen?«
»Problemlos, wenn du mich nicht von der Arbeit abhältst«, sagte sie und betrat vor ihm das Baubüro.
»Mir passt dein Ton nicht!«
»Mir deiner auch nicht.« Joe schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Sie schenkte sich einen Kaffee ein. Am liebsten hätte sie geheult. Konstantin, ihr Vater, die Baustelle – es gab nichts, was sie nicht deprimierte. Die Pumpe war auch nicht mehr da, wo sie sein sollte. Das erzählte sie ihrem Vater zwar nicht, als sie es wenig später bemerkte. Aber diese Entdeckung gab ihr den Rest.
Poppige Klänge der Siebzigerjahre tönten aus dem Kofferradio. Marc stand auf dem großen Gerüst im Erdgeschoss, um die Leitungen zu isolieren, die an der Decke entlang bis zum Boden führten. Ein Blick in Joes Gesicht zeigte ihm, dass jetzt kein guter Zeitpunkt für eine Unterhaltung war. So nickte er ihr nur kurz zu.
Joe versuchte ein Lächeln, stieg ebenfalls auf das Gerüst: bücken, neue Isolierwolle nehmen, sich recken, die Rohre umwickeln, befestigen und wieder bücken. Die Mechanik der Arbeit tat ihr gut, während der Radiomoderator mit sich überschlagender Stimme die aktuellen Blitzerfallen mit Laserpistole und Sofortkasse verriet. Wie immer wurde am Flughafen, an den Ring- und Ausfallstraßen und am Leuchtenbergring geblitzt, wo eine Großbaustelle die Autofahrer zwang, mit dreißig Stundenkilometern über die Straße zu schleichen. Danach versuchte eine Frau, bei einem Gewinnspiel fünfhundert Euro zu ergattern. Sie durfte auf die Fragen des Moderators weder mit Ja noch mit Nein antworten. Sie schaffte es nicht und ging leer aus.
Auf den »Morning Man« folgte zuerst der Mittags- und dann der Nachmittagsmoderator. Dann kamen die obligatorischen Staumeldungen; die Nachrichten des Tages kannte Joe inzwischen längst auswendig, ebenso den Wetterbericht. Wenn es regnen sollte, regnete es nie. Ein Hoch über den Azoren bestimmte jetzt das Europawetter und würde sicher auch in den nächsten Tagen die Barockfassaden der S. Ignazio und des Petersdoms in Rom im Sonnenlicht erstrahlen lassen. Konstantin und die andere würden ab morgen durch den Park der Villa Borghese bummeln; danach würde er mit ihr über den See zu einem lauschigen Platz unter eine Hängeweide rudern, um sich ungestört zu verlustieren, oder sie würden zum Sonnenuntergang auf den Pinico steigen, was ein unbedingtes Muss für jedes Liebespaar war. Von hier aus konnte man nicht nur die Kuppel des Petersdoms von Michelangelo sehen, sondern sogar bis zu den grünen Streifen des Tiberufers blicken. Joe wusste eine Menge über Rom. Bereits vor Wochen hatte sie einen Reiseführer gekauft, ihn studiert und ihn jetzt zu alten Saucen und Salatresten in den Müll geworfen.
Während der Moderator immer weiterplapperte, verpackte Joe Meter für Meter der Rohre mit der scharfen Isolierwolle, die sie selbst durch die dicken Arbeitshandschuhe spürte. Sie war froh, dass Marc nicht mit
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