Der transparente Mann (German Edition)
alle Frauen in diesem Lokal Marc mit Kusshand genommen hätten. Sie konnte den Blick, den Marc ihr zuwarf, nicht deuten.
Nachdenklich zwirbelte er dunkle Locken zwischen Zeigefinger und Daumen, seine braunen Augen flackerten leicht, bevor er noch mal mit den Schultern zuckte. »Ich müsste schon echt verliebt sein, um mich an eine Frau zu binden. Und die müsste natürlich auch in mich voll verliebt sein. Einfach so zum Zeitvertreib, nur weil es 'ne Frau ist – das brauch ich nicht.«
»Na ja. Hab mich halt einfach nur gewundert.« Joe fand Marc wirklich außergewöhnlich. In seinem Spind klebten keine Busenwunder, er las weder den Playboy, noch prahlte er mit Frauengeschichten, er war verschlossen wie eine Auster. Joe wusste lediglich, dass er im Alter von zwanzig Jahren lange und heftig geliebt hatte, aber mit fünfundzwanzig war es plötzlich vorbei gewesen, ohne dass sich Marc jemals über die Gründe ausgelassen hätte. Danach wusste sie von zwei, drei Frauen, die mal im Büro angerufen hatten oder auf einer Baustelle erschienen waren.
»Warum sind Männer so?«, fragte Joe und bestellte neues Bier.
»Wie sind sie denn?«
Joe erzählte von Konstantin und den vielen anderen Frauen, von den Rosen, von ihrem Clownskostüm und seinem vehementen Leugnen am Abend der Wahrheit. Als sie geendet hatte, hatte Joe sich so in Rage geredet, dass ihre Wangen ganz rot waren, oder kam es doch von der Hitze des Lokals, in dem die Klimaanlage immer schlecht funktionierte.
»Du hast ihn dir ausgesucht«, meinte Marc.
»Und was soll das heißen?«
»Dass er der Mann ist, den du haben wolltest.«
»So ein Quatsch.«
»Das Problem ist deine Schwäche für Arschlöcher«, erklärte Marc klipp und klar.
Verblüfft starrte sie ihn an. Damit hatte Joe nicht gerechnet.
Marc lächelte, als wäre nichts geschehen. Dabei nippte er an seinem Bier und schaute Joe in die Augen. »Sorry, dass ich das so deutlich sage.«
»Na ja, irgendwie stimmt es wohl«, gab Joe schließlich zu. »Ich sollte es so machen wie du. Ich werde mich nie mehr verlieben.« Joe schaute ihn trotzig an und hob das Glas, um darauf mit ihm anzustoßen.
Marc schüttelte den Kopf. »Schick nicht so schlechte Wünsche in die Welt. Und überhaupt – woher willst du wissen, dass ich nicht verliebt bin?«
»Hast du doch eben selbst gesagt. Du hast ja keine Freundin.«
»Das eine hat ja mit dem anderen nichts zu tun.« Er schaute Joe ganz merkwürdig an.
Joe hatte keine Lust, diesen Blick zu ergründen. Sie hob ihr Glas, lächelte ihn an und erwiderte: »Dann trinken wir auf unsere Freundschaft.«
»Auf die Freundschaft«, meinte Marc, und die Gläser klirrten, als sie miteinander anstießen.
Etwas später brachte er sie zu ihrem Auto. Die Luft war klar und weich wie ein Bergsee. Marc hatte freundschaftlich den Arm um sie gelegt, während Joe ihm von ihrer Idee erzählte, eine Webpage über Männer ins Netz zu stellen. »Und? Wie findest du meinen Plan?«, fragte sie, als sie geendet hatte.
»Wütend bist du mir viel lieber als so traurig wie in den letzten Wochen.« Marc lächelte.
»Das hat nichts mit Wut zu tun.«
»Okay, dann bist du jetzt nicht die Rächerin, sondern die Retterin der Frauen.«
»Genau.«
»Dann bin ich ja froh, dass ich ein reines Gewissen habe«, entgegnete er schmunzelnd. Er nahm Joes Ausführungen einfach nicht ernst. Vielmehr schrieb er sie den kühlen Hellen zu, die sie im Laufe des Abends konsumiert hatten. Erheitert regte er sogar an, dass man aus Gesichtspunkten der Gleichberechtigung auch eine Webpage über Frauen ins Netz stellen müsste, wonach sie sich in den üblichen Mann-Frau-Diskussionen ergingen, wer mehr oder weniger betrügt und ob der Wunsch, mit vielen verschiedenen Sexualpartnern Kontakt zu haben, bei Männern in den Genen liegt. Schließlich einigten sie sich darauf, dass dies keine Frage des Geschlechts, sondern des Charakters war.
»Danke«, sagte Joe, als sie die Tür ihres Kastenwagens aufschloss. »Es war ein echt schöner Abend.« Sie wollte Marc nach Hause fahren, aber er versicherte ihr, dass er gern noch ein paar Schritte gehen und die Nacht genießen wollte.
»Dann bis Montag«, meinte Joe, stieg ein und fuhr los.
Marc sah ihr nach, bis die Rücklichter ihres Wagens von der Dunkelheit gefressen wurden. Dann machte er sich auf den Heimweg.
»Ihm nachspionieren? Warum willst du dir das noch mal antun?«, fragte Alf sie am nächsten Morgen zwischen Müsli und Spiegeleiern, als Joe ihn bat, sie als
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