Der transparente Mann (German Edition)
Fröhlichkeit zurück. Konstantin drückte sie leidenschaftlich an seine Brust. Er war der perfekte Schauspieler, reif für den Oscar in der Rolle des Casanovas.
Joe musste ihre Reflexe bezwingen. Am liebsten hätte sie ihn barsch von sich gestoßen oder ihm eine schallende Ohrfeige verpasst. So aber wand sie sich verführerisch schnell aus seinen Armen und bekam dennoch eine Gänsehaut, als sein Mund flüchtig ihren Nacken streifte. Sie musterte ihn in seiner Ahnungslosigkeit. Wangen und Kinn waren glatt rasiert, seine Lippen sinnlich gekräuselt, aber sie entdeckte heute diesen leicht hochmütigen Ausdruck, den nur Männer haben, die von ihrem Sexappeal überzeugt sind. Allein dieser Gedanke reichte, um Joes Magen Probleme mit dem üppigen Frühstück zu bescheren.
Joe rang sich ein Lächeln ab und reichte ihm die Reisetasche, die er geschäftig ins Schlafzimmer trug, während sie das Wohnzimmer betrat. Der Esstisch war mit weißem Porzellan und Kristallgläsern gedeckt. Zum ersten Mal fiel ihr auf, wie unpersönlich dieses Zimmer war. Keine privaten Fotos schmückten die dicken Glasregale, und auch keine Souvenirs verrieten etwas über den Mann, der hier lebte. Konstantin hatte seine Seele hinter täuschender Perfektion und teurem Glanz versteckt. Joe kam sich mit einem Mal wie auf dem Hochglanz-Foto einer Einrichtungszeitschrift vor. Sie wunderte sich über ihre Naivität, geglaubt zu haben, das Schicksal hätte ihr an der Uni einen Traummann in die Arme gespielt. Ja, Konstantin war süß wie Nutella, aber noch viel schwerer zu verdauen.
»Schön, dass es dir wieder besser geht. Du siehst zum Anbeißen aus.« Als Konstantin wieder das Wohnzimmer betrat, war sein Blick genauso begehrlich wie am Vorabend, als er auf Stefanie geruht hatte. Wohlwollend musterte er ihren Körper, der in dem geblümten Kleid steckte, das sie an ihrem ersten Abend getragen hatte. Ihre Haare hatte Alf zu einem kleinen Kunstwerk geflochten, und die Rötung ihrer Augen war dank kühlender Maske und Augentropfen verschwunden.
Joe setzte sich an den Tisch und schlug kokett die Beine übereinander. Neben ihrem Gedeck entdeckte sie einen Umschlag, auf dem in Konstantins markant flüssiger Handschrift ihr Name geschrieben stand. Vor zwei Tagen hätte sie ihn noch neugierig aufgerissen, heute ignorierte sie ihn. Stattdessen betrachtete sie ihre Fingernägel, die sie jetzt alle fünf Wochen im Nagelstudio überholen ließ, mit einem Lächeln.
»Woran denkst du?«, fragte er.
»An dich«, antwortete Joe wahrheitsgemäß.
»So wie ich auch an dich.« Konstantin lächelte selbstgefällig. Der Mann war einfach zu hundert Prozent von sich überzeugt!
Als Vorspeise servierte er dann einen Salat mit gebratenen Muscheln. Während er ihre Teller füllte, meinte er: »Ich hätte den gestrigen Abend auch viel lieber mit dir auf dem Sofa verbracht. Aber diese neue Vernissage … Du glaubst gar nicht, wie viel Arbeit damit verbunden ist.« Er stöhnte ein bisschen und verdrehte die Augen.
»Sind denn die Geschäfte wenigstens gut gelaufen?« Unschuldiger als Joe in diesem Moment konnte man einfach nicht fragen. Sie zwang sich zu einem glücklichen Lächeln, als er ihre Frage bejahte, und spielte die interessierte Zuhörerin, als er kurz von schwierigen Verhandlungen sprach, die er aber zu einem positiven Abschluss hatte bringen können.
»Das ist ja schön«, meinte Joe, und er wechselte befriedigt das Thema.
Joe dachte plötzlich an Stefanie. Diese Frau war sicher ebenso ahnungslos, wie sie selbst noch vor wenigen Stunden gewesen war. Der Gedanke vertrieb die Wut auf all die anderen, die mit Sicherheit auch nur Opfer seiner schönen Worte geworden waren. Dafür steigerte sich der Hass auf Konstantin noch mal um Klassen. Wegen Männern wie ihm waren Frauen heute oft so desillusioniert, dass ihre Investitionsbereitschaft in eine neue Liebe im Laufe der Jahre gegen null tendierte. Es sollte wirklich so etwas wie eine Webpage im Internet geben, auf der man checken könnte, ob der neue Freund nicht wieder nur ein begnadeter Schauspieler war. Sonst konnte man ja auch alles im Internet recherchieren. Der Gedanke daran ließ Joe irgendwie nicht mehr los.
»Lass es dir schmecken, Liebes«, sagte Konstantin, als er sich zu ihr an den Tisch setzte. Der Blick, mit dem er sie ansah, sollte seine Worte noch unterstreichen.
Joe wurde klar, was für ein schlechter Ratgeber ihr Bauch gewesen war. Ja, ein TÜV-Abzeichen oder eine Stiftung-Warentest-Wertung für
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