Der transparente Mann (German Edition)
auf dem Holzweg, Johanna«, meinte er ernst. »Es war eine rein geschäftliche Verabredung. Ich bin schließlich kein Handwerker und habe daher durchaus andere Arbeitszeiten als du.«
Joe schluckte die Beleidigung hinunter. Sie griff in die Seitentasche ihres Clownskostüms, zog fünf Euro heraus und legte den Schein auf die Kommode neben der Haustür.
»Johanna, du siehst das alles ganz falsch. Monika ist eine alte Freundin von mir. Jetzt hör mit diesem Theater auf! Das ist nicht mehr lustig.«
»Du lügst immer noch.«
»Und du bist ein völlig bescheuertes Huhn!«
Joe erschrak über die Ohrfeige, die sie ihm gab. Aber sie tat ihr nicht leid. Nur ihre Hand brannte wie tausend Chilischoten, als sie die Haustür hinter sich zuzog. Die Sterne schauten auf sie herab, als sie wie aufgezogen zu ihrem Kastenwagen ging. Sie wusste, Konstantin würde ihr nicht nachlaufen. »Arschloch«, sagte sie noch ganz leise.
Fünf
Übermorgen wären sie nach Rom geflogen. Und wer flog jetzt mit ihm dorthin? Ein Ticket konnte man umschreiben lassen, ein neues Herz erobern, einen Körper austauschen; dann tat man so, als wäre alles in schönster Ordnung, ging zur Tagesordnung über und genoss den cremigen Cappuccino mit dem obligaten Glas Wasser in der Sonne auf einer Piazza, während Italiener und Touristen vorbeiflanierten und dabei eine bellafigura machten. Konstantin würde seine Hand unter einen anderen Rock schieben als den aus schwarzer Seide, den Joe sich extra für Rom gekauft hatte, und die Trägerin dieses anderen Rockes würde nicht ahnen, wie leicht zu ersetzen sie war.
»Hör auf, dich zu quälen«, sagte Alf, als sie ihm ihre Gedanken erzählte. Sie putzten sich gerade im Badezimmer gemeinsam die Zähne für die Nacht.
»Das hat mit Quälen nichts zu tun. Ich will auf was ganz anderes hinaus. Ich denke nämlich ständig darüber nach, dass es so etwas wie ein öffentlich zugängliches männliches Sündenregister geben müsste.« Sie spuckte die Zahnpasta aus und wusch sich noch einmal durchs Gesicht. »Man müsste einfach nur eine Webseite kreieren und sie bekannt machen. Ich schwöre dir, das wäre garantiert ein Selbstläufer. Dann könnten solche Männer nie mehr ungestraft so ungeniert betrügen.« Der Blick, den sie Alf im Spiegel zuwarf, war voller Kampfgeist.
Alf lachte nur und schüttelte den Kopf. »Geh ins Bett«, meinte er und gab ihr einen freundschaftlichen Kuss.
Aber Joe konnte nicht schlafen. Gedanken folterten sie die ganze Nacht. Unruhig wälzte sie sich von einer Seite auf die andere. Ihre Matratze schien ein Lager aus Nägeln zu sein. In ihrer Verzweiflung zählte sie irgendwann sogar die Erhebungen der Raufasertapete. Aber immer wieder landeten ihre Gedanken bei Konstantin. Zwei Wochen waren seit dem Showdown vergangen. Konstantin hatte viele SMS auf ihr Handy geschickt, in denen er angefragt hatte, ob sie jetzt in der Lage sei, vernünftig zu reden. Von seiner Seite aus gäbe es keinen Grund, die Beziehung zu beenden oder gar Rom zu vergessen. Diese Frechheit hatte Joe bestärkt, jeden weiteren Kontakt zu meiden. Aber immer noch war ihr Herz wie ein Klumpen Stein, und ihr Körper funktionierte wie ein Roboter: aufstehen, duschen, Zähne putzen, anziehen, danach den ganzen Tag auf dem Bau schuften, wieder nach Hause, essen und hoffen, wenigstens ein paar Stunden schlafen zu können. Diese Nacht aber war schlimmer als alle vorangegangenen. Es war ja auch die vorletzte Nacht vor Rom.
Um drei Uhr stand Joe auf und schluckte in ihrer Verzweiflung eine Schlaftablette.
Die ungewohnte Mischung aus Hopfen und Baldrian hatte Joe verschlafen lassen. Mit dem Kastenwagen bretterte sie am nächsten Morgen mitten durch die Schlaglöcher auf die Baustelle. Sie war fast eine Stunde zu spät dran.
Schon von weitem sah sie ihren Vater. Offensichtlich brachte auch dieser Tag nur eine weitere feindselige Herausforderung. Sie beobachtete, wie er gewichtig ihre Baustelle kontrollierte. Er machte sich Notizen, während Kulzer und Marc Ladungen von Isolierwolle in den Rohbau schleppten. In der für ihn typischen schroffen Art rief ihr Vater ihnen Anweisungen zu. Kaum hatte er Joe entdeckt, eilte er schnellen Schrittes auf ihren Wagen zu.
Joe stieg aus. Die gleißende Helligkeit zeigte schonungslos ihre blasse Haut und die Ringe unter ihren Augen. »Guten Morgen«, begrüßte sie ihn.
»Wie oft soll ich es dir noch sagen? Der Chef kommt als Erster und geht als Letzter.«
»Ich weiß.«
»Ja, und wo warst du
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