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Der transparente Mann (German Edition)

Der transparente Mann (German Edition)

Titel: Der transparente Mann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Sixt , Barbara Wilde
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Fragen nach Konstantin oder ihrem Vater nervte. Er war einer der wenigen Männer, mit denen man schweigen konnte, ohne Beklemmungen zu verspüren.
    »Magst du heute Abend zu uns kommen? Wir könnten Pizza holen?«, fragte Joe kurz vor den Fünf-Uhr-Nachrichten. Es dämmerte langsam. Die Tage waren kürzer und die Nächte leider länger geworden.
    »Gute Idee«, antwortete Marc. »Wir könnten aber auch mal wieder in unsere Kneipe gehen.«
    »Ja, okay. Wenn du willst.« Joe war überhaupt nicht danach, sich ins abendliche Getümmel zu stürzen, das Gelächter der anderen zu hören, vielleicht ein verliebtes Paar zu sehen und sich dabei zu fragen, ob dieser Mann wohl auch seine Freundin so dreist belog. Sie fühlte sich jetzt solidarisch mit allen betrogenen Frauen dieser Welt.
    »Wenn dir nicht nach Kneipe ist, komme ich zu dir.« Joe spürte Marcs prüfenden Blick auf sich ruhen.
    »Nein, wir gehen aus«, beeilte sie sich zu sagen. Sie musste aufhören, sich wie ein Einsiedlerkrebs zu verstecken.
    Das »Satisfaction« war ihr Stammlokal. Joe hatte es jedoch seit sieben Monaten nicht mehr betreten. Früher war sie mit Marc nach getaner Arbeit oft hier eingekehrt. Sie liebte diese Kneipe mit den blank gescheuerten Holztischen, dem frisch gezapften Bier, den zwei E-Gitarren an den Wänden und einem Kicker, an dem meist Männer verbissen um den Fußballsieg kämpften. Die wahre »Satisfaction« brachten aber in dieser Kneipe die Tagesgerichte, die mit Kreide auf einer Tafel geschrieben standen. Heute gab es gefüllte Paprikaschoten, Schnitzel mit Bratkartoffeln oder alternativ eine Sülze. Mick war der Besitzer des »Satisfaction« und die Seele des Lokals. Er hatte es nach dem ersten großen Hit seiner Lieblingsband, der Rolling Stones, benannt, trug ihr obligatorisches T-Shirt mit der ausgestreckten Zunge, denn er war glühender Fan der Kultband und hatte all ihre Konzerte in München besucht. Er konnte die Erfolgsgeschichte von Mick, Keith, Brian, Charlie und Willi so spannend erzählen, dass Joe ihm manchmal stundenlang zugehört hatte, obwohl ihr diese Rockmusiker schnurzegal waren. Joe vermutete, dass Mick sie deshalb so grandios fand, weil er mit dem Frontmann nicht nur Alter und Vornamen gemeinsam hatte – sie beide waren im Sternzeichen des Löwen geboren, besaßen eine ähnlich drahtige Figur, und selbst ihre Gesichter waren fast identisch plissiert, was Micks Chancen bei Frauen keinen Abbruch tat. Denn wie sein großes Vorbild besaß er Charisma und einen lebhaften Geist.
    »Wie geht es dir?« Sein Handschlag war hart und herzlich.
    Joe war froh, dass er sie nicht fragte, warum sie sich so lange nicht hatte blicken lassen. »Ganz gut. Viel Arbeit. Hab jetzt eine Großbaustelle«, sagte sie und setzte sich mit Marc an einen Tisch.
    »Nicht schlecht.« Mick nickte ihnen wohlwollend zu.
    Joe bestellte Sülze mit Bratkartoffeln, und Mick beeilte sich, ihnen ein kühles Helles zu zapfen, das er penibel auf Bierdeckeln platzierte, während Marc von seinen Plänen erzählte, im Winter, wenn es mit der Arbeit auf dem Bau mau war, endlich wieder seinen Rucksack zu schultern. Er liebäugelte damit, für ein paar Monate nach Asien zu reisen. Marc gab sich alle Mühe, Joe von ihrem Kummer abzulenken, und sie hörte ihm dankbar zu. Schon oft hatte er ihr von seinen abenteuerlichen Trips mit Bussen, Booten und Pick-ups quer durch diesen fremden Kontinent erzählt, von Bergstämmen im Norden von Laos, die versteckt und vom Opiumanbau lebten. Selbst bei Mönchen in Burma hatte Marc im letzten Jahr einige Zeit verbracht. Er erzählte von einer dressierten Katze, der die Mönche beigebracht hatten, rückwärts durch einen Reifen zu springen. Marc versprach, Joe demnächst ein paar Fotos davon zu zeigen.
    »Fühlst du dich nicht einsam, wenn du so ganz allein durch die Weltgeschichte reist?«, fragte Joe und trank durstig von ihrem Bier.
    »Du kannst ja mitkommen. Urlaub hast du ja noch genug, und bevor dein Studium losgeht, sind wir zurück.«
    Joe lachte und aß mit Appetit die Sülze, die Mick ihr vor die Nase gestellt hatte. Die Bratkartoffeln waren kross und mit Zwiebeln gebraten.
    »Das ist mein Ernst.« Marc beobachtete jede Regung in ihrem Gesicht. Er konnte darin lesen, dass Joe weit davon entfernt war, ihn und sein Angebot ernsthaft in Betracht zu ziehen.
    »Hast du keine Freundin?« Joe aß die Bratkartoffeln mit Genuss.
    Marc zuckte mit den Schultern.
    »Wieso eigentlich nicht?« Joe hätte schwören können, dass

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