Der transparente Mann (German Edition)
Aussicht schrecklich, jetzt allein zu sein. Zu gern hätte sie mit einem Freund, der ihre Begeisterung teilte, ausführlich über die Webpage gesprochen. Aber für ein solches Gespräch wären Alf und Marc sowieso die Falschen gewesen. Sie waren ja Männer.
Sie fuhr an einem Café vorbei, das sich durch grell leuchtende Neonbuchstaben als »Internetcafé« auswies. Durch die große Fensterfront sah sie Menschen, die konzentriert vor unzähligen Monitoren hockten. Plötzlich hatte Joe die Vision, sie alle würden gerade ihre Beziehungsgeschichten aufschreiben und an ihre Webpage senden. Über ihre blühende Fantasie musste Joe selbst lachen. Einer spontanen Eingebung folgend, parkte sie ihren Wagen, da es aussah, als hätte der Himmel ihr diesen Parkplatz direkt vor dem Café geschickt, das einladend auf sie zu warten schien.
Das Café wurde offenbar überwiegend von jungen Leuten besucht. Die jungen Frauen trugen Jeans, aus denen der Stringtanga hervorblitzte, wann immer sie sich interessiert nach vorne beugten, um dem Bildschirm näher zu kommen. Es herrschte Hochbetrieb. Alle Computer an der Bar und am langen Tresen vor dem Fenster waren besetzt. Vor einigen drängten sich sogar mehrere Leute. Bei diesem gruppendynamischen Gemeinschafts-Chat tippte einer auf der Tastatur, während die anderen sich dicht um den Schreibenden drängten, den Text kommentierten und dem Schreibenden dabei in den Nacken atmeten.
Joe hasste es, wenn ihr jemand in den Nacken atmete. Das passierte ihr in letzter Zeit immer häufiger, zum Beispiel wenn sie in der Post in einer langen Menschenschlange warten musste. Typischerweise waren es stets Männer, die ihr zu dicht auf die Pelle rückten. In solchen Fällen schulterte Joe gern einmal absichtlich ihre große und meist schwere Handtasche so schwungvoll, dass diese auf der Brust des Hintermannes landete, wenn der nicht rechtzeitig auswich. Dieser Trick funktionierte perfekt und sorgte für gebührenden Abstand.
Hier, im »Internetcafé«, brauchte sie ihre Handtasche, in der sie ihren halben Hausstand mit sich herumtrug, nicht als Waffe einzusetzen. Keiner interessierte sich für sie. Unbehelligt bestellte sie an der Bar ein frisch gezapftes Bier, zahlte sofort und schlenderte mit ihrem Glas in der Hand an den Gästen vorbei. Dabei blieb es nicht aus, dass sie Zeuge ihrer Gespräche wurde.
»Stell dir vor, die wollte heiraten, und da hat er sie einfach geschasst«, berichtete ein dunkelhaariges Mädchen gerade seiner hellblonden Busenfreundin, die sich über diese Mitteilung königlich amüsierte. Automatisch dachte Joe an Konstantin, der sie sowieso nie hatte heiraten wollen.
»Und? Hast du dir dann den Typen geschnappt?«, fragte die Hellblonde mit den glatt gezogenen Haaren, während sie weiter auf der Tastatur tippte.
»Nee. Ich picke doch nicht einen wie Simon. Ich picke jemanden wie Peter.«
Amüsiert blieb Joe stehen. Den Ausdruck »picken« hatte sie in diesem Zusammenhang noch nie gehört. Joe dachte an sich und ihre Träume, als sie im Alter dieser beiden Mädchen gewesen war. Damals war sie fest davon überzeugt gewesen, mit achtundzwanzig längst mit einem Traummann verheiratet zu sein, wenngleich sie sich damals nicht hatte vorstellen können, überhaupt einmal so alt zu werden. Jetzt ging Joe locker auf die dreißig zu, und der Mann ihres Lebens war weiter entfernt als der Nordpol. Joe hoffte für die beiden Teenies, dass sie mehr Glück in der Liebe haben würden. Und das schien ja auch so zu sein.
»Simon fand mich geil, und dann hat er seine Freundin angeguckt und war frustriert«, tönte es wieder zu Joe herüber. »Er hat lang und breit erzählt, wie toll ich bin und wie geil, und … na ja, was halt Typen so reden«, berichtete die Dunkelhaarige nicht ohne Stolz.
»Und seine Freundin?«
»Ganz nett, nicht der absolute Bringer, aber auch nicht doof. Man konnte mit ihr reden. Irgendwie tat sie mir echt leid.«
»Dann geschieht es diesem Aufreißer ganz recht.« Entschieden hämmerte die Hellblonde mit ihren weiß lackierten Nägeln weiter auf der Tastatur herum.
Joe stellte sich noch etwas näher hinter beide und spitzte ihnen neugierig über die Schulter. Sie wollte sehen, was während dieser Unterhaltung so eifrig geschrieben wurde.
Joe glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Nein, es war keine Vision, kein Fantasiegebilde und keine überdrehte Wunschvorstellung. Die Teenies hatten tatsächlich ihre Webpage aufgerufen, um die plumpe Anmache dieses Simon
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