Der transparente Mann (German Edition)
Hausmeister.
»Entschuldigung. Das tut mir leid«, sagte Herr Wimmer schuldbewusst.
Sie rieb sich die schmerzende Pobacke, die am nächsten Tag mit Sicherheit ein riesiger blauer Fleck zieren würde. Ihr Puls fuhr langsam wieder nach unten, und gleichzeitig stellte sich in ihrem Kopf der direkte Zusammenhang zwischen dem ungewöhnlichen Sit-in des Hausmeisters und jenem merkwürdigem Geräusch her, das eindeutig aus der Wohnung der Wimmers drang. Joe wurde schlagartig klar, dass sie hier nicht Zeuge einer meditativen Sitzung geworden war und dass das Jammern auch nicht einem lustgetriebenen Kater, sondern einer Frau zuzuschreiben war. Und zwar der Frau ihres Hausmeisters, der jetzt wie ein begossener Pudel vor ihr stand.
»In letzter Zeit krachen Sie wohl gern mit mir zusammen«, meinte Joe leicht aufgebracht und dachte an die Szene am Flughafen. Eines war völlig klar: Die Eheleute Wimmer hatten einen handfesten Krach, und seine Frau hatte ihn kurzerhand aus der Wohnung geworfen. In diesen Streit wollte Joe auf keinen Fall hineingezogen werden. Deshalb schob sie sich schnell an Herrn Wimmer vorbei.
»Ich hatte Sie nicht bemerkt, 'tschuldigung«, beteuerte er kleinlaut und sah sie Hilfe suchend an, als Joe ihre Wohnungstür aufschloss und schnell hinter sich zuzog, denn sie wollte Wimmer kein nächtliches Asyl gewähren. Wahrscheinlich war seine Affäre aufgeflogen. Joe hatte plötzlich ein ganz ungutes Gefühl. Konnte es sein, dass Herr Wimmer auf ihrer Webpage auftauchte? Sie jedenfalls hatte ihn nicht geoutet, obwohl sie mehrmals gute Lust gehabt hätte, sein Sahnepudding-Verhältnis aufzudecken, da sie die Ahnungslosigkeit seiner Frau betroffen gemacht hatte. Aber erstens hatte das rein gar nichts mit ihr zu tun, und zweitens wollte sie keinesfalls über Dritte berichten. Das war nicht der Sinn der Sache.
Ein Forum für Denunzianten!
Marcs Worte hatten Joe doch mehr getroffen, als sie sich eingestehen wollte.
Kaum in ihrer Wohnung, setzte Joe sich an ihren Computer, loggte sich ein und tippte mit flinken Fingern Vor- und Nachname ihres Hausmeisters ein – und tatsächlich: Seine ganze Affäre fand sich ausgebreitet auf der Webpage, sogar mit Fotos von den heimlich Liebenden auf dem Potsdamer Platz in Berlin. Miss Sahnepudding persönlich zeichnete sich dafür verantwortlich, in der Hoffnung, mit diesem Akt des Schreckens seiner Ehe zu einem schnellen Ende zu verhelfen. Je mehr schlüpfrige Details über das Liebeswochenende in Berlin auf dem Bildschirm erschienen, desto größer wurde der Druck, der auf Joes Brustkorb lastete.
Sie dachte an seine Frau, und ihr Herz quoll über vor Mitgefühl. Mein Gott, sie war doch schwanger! In ihrem Zustand wäre eine Trennung eine Katastrophe.
Jetzt stand Joe vor einer Situation, die sie vorher nicht bedacht hatte. Vielleicht war es manchmal besser, nicht mit der Wahrheit konfrontiert zu werden. Joe fühlte sich für Frau Wimmers Kummer verantwortlich, denn sie hatte die Möglichkeit für dieses Outing erst geschaffen. Wie sollte sie dieser Frau, die jetzt nebenan in ihrer Wohnung weinte, jemals wieder in die Augen schauen?
Zweifel nagten an ihrem Gewissen. Den Kopf aufgestützt, starrte sie schuldbewusst auf die Fotos ihres Hausmeisters, der auch als strahlender Mister Casanova vor einem Designerbett stehend mit zwei Sektgläsern in der Hand abgelichtet worden war. Versunken in ihrem eigenen Horror kaute Joe einen Fingernagel nach dem anderen kurz, was jetzt ja wieder funktionierte, da sie mit Konstantin auch ihre Besuche im Nagelstudio ad acta gelegt hatte, und versuchte, ihre Schuldgefühle zu beschwichtigen. Würden sich Männer fair gegenüber ihren Frauen benehmen, würden sie schließlich nicht auf ihrer Webpage landen. Und welche Frau wollte schon ihr Glück auf einer Lüge aufbauen? Da war es doch besser, den Tatsachen ins Auge zu sehen, auch wenn es wehtat. Trotzdem war Joe die Lust auf mehr Infos aus dem Netz vergangen. Sie schaltete den Computer aus, zog sich ihren Sternchenpyjama an und machte sich bereit für die Nacht, als es an der Tür klingelte.
Alf hat sicher den Schlüssel vergessen, vermutete Joe, und das war ja auch kein Wunder, denn auf der Wolke, auf der er momentan schwebte, waren Schlüssel so nebensächlich wie die Post. So verliebt möchte ich auch bald wieder sein, dachte sie, während sie sich zur Tür schleppte. Sie sehnte sich nach diesem Strom, der ihren Körper elektrisierte und ihn auf Dauerbetrieb leuchten ließ. Aber davon war
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