Der transparente Mann (German Edition)
mich nicht? Bist du wahnsinnig? Wie kannst du dich nur von Wagenscheidt so unter Druck setzen lassen?«
Joes Hände wurden eiskalt, und ihr Gesicht verlor alle Farbe. Sie konnte kaum glauben, was sie da vernahm, und er ließ sie auch gar nicht zu Wort kommen. Sie hatten alle zusammen großartige Arbeit geleistet, und darauf kam es schließlich an, sagte sich Joe immer wieder. Diesmal wollte sie sich ihre Leistung nicht schmälern lassen. Diesmal nicht. So blickte sie ihren Vater kühl an, der, kaum dass er Luft geholt hatte, auch schon weiterpolterte.
»Das kann auch nur einer Anfängerin passieren! Was, wenn sich in der Hektik Fehler eingeschlichen haben? Weißt du, wer dafür verantwortlich ist? Wir! Von Gewährleistung hast du wohl noch nie etwas gehört?«
Wortlos stand Joe auf, drehte sich um und verließ den Raum. Auch mit ihrer Mutter wollte sie nicht mehr reden, die, und das war typisch für sie, während des cholerischen Ausbruchs ihres Mannes das Wohnzimmer verlassen hatte.
Jetzt versuchte sie, Joe aufzuhalten und beruhigend zu vermitteln. »Besprich doch demnächst vorher solche Sachen mit ihm. Du weißt doch, wie er ist.« Ihr Tonfall war sanft, wie es ihre Art war.
»Du und deine Harmoniesucht!«, entgegnete Joe schroff und schlug die Haustür nachdrücklich hinter sich zu. Wieso war sie nur hierher gekommen? Ihr Vater würde sich niemals ändern. Die Wut trieb Joe Tränen in die Augen.
Erst, als sie etwas später zu Hause in der Wanne lag und der Geruch der Schmiere sich mit dem des Rosenöls mischte, hatte sie sich langsam gefangen. Sie nippte an ihrem Weinglas, das neben ihr auf dem Wannenrand stand, und dachte an »ihre« Männer. Plötzlich überkam sie das Gefühl, als bildeten diese einfachen, aber gradlinigen Typen vom Bau eine Art Schutzwall um sie herum. Dieses Gefühl hatte Joe bisher nicht gekannt, und es rührte sie auf seltsame Art. Eines stand nach dem heutigen Tag für sie fest: Auf »ihre« Männer konnte sie sich hundertprozentig verlassen.
Sie schluckte, dachte an ihre früheren Freunde und natürlich an Konstantin. Warum erfuhr sie dieses Gefühl von Schutz, Geborgenheit und Verlässlichkeit nie in ihrem Liebesleben? Vielleicht müsste sie da einfach forscher und ehrlicher sein und einem Mann klipp und klar sagen, was sie wollte und sich von einer Beziehung mit ihm erhoffte. Aber allein die Vorstellung, sie hätte damals Konstantin gestanden, ihn so zu lieben, wie sie ihn geliebt hatte, und dass sie ihn auf der Stelle geheiratet hätte, ließ sie sogar im dampfenden Badewasser erschaudern. Es war besser, dass sie sich diese Peinlichkeit erspart hatte.
Während Joe in ihren Pyjama schlüpfte, die Nachttischlampe anknipste und dann das Licht im Flur löschte, lud ihr Laptop, den sie auf ihrem Bett deponiert hatte, bereits die neuen Nachrichten kabellos herunter, die auf ihrer Webpage eingegangen waren. Eingekuschelt in die Bettdecke, das Kopfkissen bequem im Rücken, klickte Joe wahllos neue Nachrichten an. Nicht mehr ganz so neugierig wie in den ersten Tagen, überflog sie die üblichen Anschuldigungen, die sich im Inhalt ähnelten. Anscheinend ging es Männern tatsächlich nur um das eine, und sie unterschieden sich lediglich in der Art und Weise, wie sie ihre Freundinnen betrogen. Der eine mit mehr Finesse, der andere einfach nur dumpf und einfallslos. Die immer selben Klagen ermüdeten Joe zunehmend. Gerade als sie sich wieder ausloggen wollte, stieß sie auf einen Absender, der sie hellwach werden ließ:
Würde gern die Frau kennenlernen, die hinter dieser Webpage steht, um mich bei ihr zu bedanken, stand da als einziger Satz auf jener E-Mail.
Sie stammte von Monika Treschniewski. Darunter war ihre Visitenkarte mit privater Handynummer angefügt.
Joes Herz schlug einen Salto. Endlich war die Chance da, über ihren Erfolg und die Gründe, warum sie diese Webpage überhaupt ins Leben gerufen hatte, zu diskutieren! Doch da fiel ihr wieder ein, dass Monika Treschniewski niemand anders als jene aufdringliche Journalistin auf Konstantins Vernissage war. Was soll's?, sagte sie sich. Man muss Menschen schließlich eine zweite Chance geben. Und damit warf sie sämtliche Vorbehalte in hohem Bogen über Bord. Monika Treschniewski war schließlich nicht nur eine Leidtragende wie sie selbst, sie war auch eine kluge, erfolgreiche Journalistin, die sie weiterhin tatkräftig unterstützen könnte, so wie sie es bereits mit ihrem kürzlich erschienenen Artikel getan
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