Der transparente Mann (German Edition)
warum er und sein Freund sich so selten in Thomas' Wohnung aufhielten, die ganz in der Nähe des Blumenladens lag. Sensibel wie Alf war, hatte er von der besseren Energie in ihrer Wohnung gesprochen, von einer Wasserader, die er in Thomas' Appartement zu spüren glaubte, aber Joe wusste, dass das nur Ausreden waren. In Wahrheit wollte Alf ihr in dieser schwierigen Phase ihres Lebens beistehen. Das neue Leben zu dritt war Joe im Grunde ganz recht. Sie war nicht gern allein.
»Es gibt Gemüsecurry, thailändischen Duftreis und Sprossensalat«, erklärte Thomas, als sie die Küche betrat, denn er legte Wert auf gesunde Ernährung.
Unwillkürlich musste Joe an Konstantin denken. Er war es, der ihr so oft Vorträge über Ernährung gehalten hatte. »Ein gesunder Geist kann nur einem gesunden Körper entspringen«, hatte er stets gepredigt. Konstantins Vielweiberei sprach allerdings entschieden gegen seine Ernährungstheorie. Von wegen gesunder Geist! Joe hätte zu gern gewusst, ob Konstantin nach wie vor all seinen Frauen rote Rosen schickte, doch sie verkniff es sich, Thomas danach zu fragen.
»Hm, thailändisch hört sich gut an!«, meinte Joe und gab Alf einen dicken Begrüßungskuss.
»Du hast Post.« Alf betonte diese drei Worte auf eine spezielle Art, die nichts Gutes verhieß.
Joe schaute ihn fragend an, worauf er sie besorgt zum Wohnzimmer begleitete. An der Tür blieb er stehen und deutete wortlos mit dem Kopf in Richtung Sideboard. Von dort strahlte Joe das weiße Kuvert entgegen. An den großen Buchstaben aus dunkelblauer Tinte und dem dynamischen Schriftzug erkannte Joe schon von weiten den Absender. Der Brief kam von Konstantin.
Scheinbar gleichmütig nahm sie das Kuvert an sich, ging in ihr Zimmer, wo sie sich auf ihr Bett setzte und erst einmal tief durchatmete, denn ihr Puls raste plötzlich wie nach einem Dauerlauf. Dann öffnete sie mit zitternden Fingern den Umschlag. Sie überflog die Zeilen und war erstaunt. Der Brief enthielt alles andere als das, was Joe erwartet hatte. Es gab keine Anklagen, keine Vorwürfe, und Konstantin hatte auch keine Rechnung wegen der ruinierten Ledersitze in seinem Auto geschickt. Dann las sie noch einmal Wort für Wort. Selbst zwischen den Zeilen konnte Joe nichts Beleidigendes finden. Im Gegenteil. Konstantin schien seinen Spaß an dem Kleinkrieg gehabt zu haben und bat nun um einen Waffenstillstand. Voller Anerkennung beglückwünschte er sie zu »dem stärksten Abgang«, den er je von einer Frau erlebt hatte. Jedes seiner geistreichen Worte, die seine Einsicht ausdrückten, streichelte Joes verletzte Seele. Seine Bewunderung und sein Respekt für ihren Mut lösten in ihr auch ein Gefühl des Triumphs aus. Letztendlich hatte sie doch über Konstantin gesiegt, ihn in die Knie gezwungen, und das demütigende Gefühl, betrogen und belogen worden zu sein, war wie weggeblasen.
Sie lächelte zufrieden, als sie zurück ins Wohnzimmer ging und sich zu Alf und Thomas an den Tisch setzte. Konstantins Friedensbemühungen gaben ihr ein ziemlich gutes Gefühl, und sie lachte über die Anekdoten, die Alf aus seinem Leben als Clown zum Besten gab, auch wenn sie die meisten davon bereits kannte.
Heute erschien ihr das ganze Leben beschwingt und heiter. Glücklich dachte sie an ihre Arbeit und an ihre Monteure, die wieder zu hundert Prozent hinter ihr standen. Jetzt befand sie sich am Ende ihres Bau-Marathons, sie war auf der Zielgeraden, und das Wissen, dass sie ihre erste eigene Baustelle erfolgreich gemeistert hatte, hatte etwas zutiefst Befriedigendes für Joe. An diesem Abend war sie fest davon überzeugt, alles in ihrem Leben würde wieder ins Reine kommen. Thomas' Gemüsecurry schmeckte herrlich, die Schärfe der vielen Gewürze wärmte sie und erweckte ihre Lebensgeister. Sie dachte an ihre Eltern, an ihre Freundschaft zu Marc, aber auch an Konstantin, der sich durch seine starken Worte wieder in ihren Kopf geschmuggelt hatte.
Zwölf
Wie für diesen besonderen Tag bestellt, strahlte die Sonne von einem makellos blauen Himmel, und es war für diese Jahreszeit ungewöhnlich warm. Joe stand auf der Baustelle. Voller Stolz betrachtete sie das Gebäude, das jetzt nur noch von der Reinigungsfirma bearbeitet und auf Hochglanz poliert wurde, während Hoffmann, Kulzer, Huber und Marc das übrig gebliebene Material in dem Lieferwagen verstauten. Joe hatte es geschafft, die Abnahme stand bevor, und zur Feier des Tages trug sie nicht ihre Arbeitskluft, sondern Hüftjeans und einen
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