Der Traum & Das Spiel der MacKenzies (German Edition)
übertrieben genau an den Buchstaben des Gesetzes hielt – was sie nicht so recht glauben konnte –, sollte er doch froh sein, dass sie eine zusätzliche Waffe hatte, ganz gleich, wie Sunny daran gekommen war. Sie reckte die Schultern. „Und der Fön.“
Wie ein Racheengel baute er sich vor ihr auf. „Wie lange schmuggelst du schon Waffen durch die Sicherheitskontrollen?“
„Jedes Mal, wenn ich ein Flugzeug besteige“, antwortete sie kühl und stand auf. Sie würde den Teufel tun und sich von ihm zusammenstauchen lassen wie ein ungezogenes Kind. „Beim ersten Mal war ich sechzehn.“
Erhobenen Hauptes ging Sunny zu ihrer Tasche und holte die besagten Dinge hervor. Chance beugte sich über sie und riss ihr die Haarspraydose aus der Hand. Er zog die Verschlusskappe ab, untersuchte das Sprühventil und drückte es. Ein feinerTröpfchennebel schoss hervor.
„Es ist tatsächlich Haarspray“, ließ Sunny ihn wissen. „Nur nicht sehr viel.“ Sie nahm die Dose wieder an sich und schraubte kraftvoll den Boden ab. Ein kurzer Waffenlauf glitt in ihre Hand. Dann nahm sie den Fön und schraubte ihn mit wenigen Handgriffen ebenfalls auseinander. Die restlichen Teile der Waffe kamen zum Vorschein. Mit der Mühelosigkeit jahrelanger Erfahrung setzte sie die Waffe zusammen und ließ das Magazin einschnappen. Dann reichte sie die Waffe Chance, mit dem Holm zuerst.
Er nahm die kleine Pistole, die fast gänzlich in seiner großen Hand verschwand. „Was, zum Teufel, tust du mit einer Pistole?“
„Ich nehme an, das Gleiche wie du.“ Den Rücken ihm zugekehrt, trat sie von ihm weg. „Ich trage sie als Schutz bei mir. Wofür benutzt du deine?“
„Ich fliege eine Menge Leute mit meiner Maschine, und die meisten davon kenne ich nicht. Manchmal komme ich auch in sehr abgelegene Gegenden. Und meine Waffe ist registriert.“ Die letzten Worte klangen wie Peitschenhiebe. „Deine auch?“
„Nein.“ Sie wollte nicht lügen. „Ich bin eine allein reisende Frau, die wertvolle Kuriersendungen transportiert. Die Leute, bei denen ich diese Sendungen abliefere, kenne ich alle nicht. Überleg doch mal … ich wäre ja verrückt, wenn ich keine Vorkehrungen träfe.“
„Wenn du gute Gründe hast, eine Waffe zu besitzen, warum hast du sie dann nicht registrieren lassen?“
Wie in einem Verhör kam sie sich mittlerweile vor, und es gefiel ihr ganz und gar nicht. Von dem zärtlichen, aufmerksamen Liebhaber war nichts mehr zu bemerken, an seine Stelle war ein bissiger Staatsanwalt getreten.
Es gab eine sehr einfache Begründung, aus der sie die Waffe nicht hatte eintragen lassen: Sie wollte bei keiner nationalenBehörde registriert sein, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
„Ich habe meine Gründe“, gab sie hochmütig zurück.
„Und die gehen mich nichts an, was?“ Er bedachte sie mit einem abschätzenden Blick und stolzierte voller Wut in Richtung Fallen davon. Selbst sein Stapfen, wie alles an ihm, wirkte unendlich geschmeidig – und war absolut lautlos.
„Wie clever von dir“, rief sie hinter ihm her. Eine kindische Bemerkung, trotzdem fühlte Sunny sich besser danach. In manchen Situationen half Albernheit eben.
Da sie nichts anderes zu tun hatte, wandte sie sich in die entgegengesetzte Richtung, zum Flugzeug, um mehr Brennmaterial für das unerlässliche Feuer zu sammeln. Sollte Chance die Stirn haben, ihre Pistole behalten zu wollen, sobald sie hier raus waren – falls das geschah –, dann hatte er sich seinen eigenen, persönlichen Krieg eingehandelt.
Chance schaute auf die kompakte Waffe in seiner Hand. So eine hatte er noch nie gesehen. Weil sie von keinem bekannten Hersteller stammte, sondern eine Maßanfertigung war. Irgendein Waffenschmied, und zwar ein talentierter, hatte diese Pistole gemacht. Keine Seriennummer, kein Markenname, kein Hinweis, von wem oder wann gemacht, nichts. Diese Waffe war nicht zu überprüfen, ihr Weg nicht zurückzuverfolgen.
Nach dem gestrigen Tag war Chance schon halbwegs überzeugt gewesen, dass Sunny nichts mit ihrem Vater zu tun hatte. Erstaunlich blöd von ihm! Da hatte er doch tatsächlich Unberührtheit mit Moralgefühl gleichgesetzt. Nur weil eine Frau nicht mit jedem Mann ins Bett hüpfte, hieß das nicht automatisch, dass sie eine anständige, pflichtbewusste Bürgerin war. Es bedeutete lediglich, dass sie, aus welchen Gründen auch immer, noch keinen Sex gehabt hatte.
Er hätte es besser wissen müssen, schließlich kannte er sichaus mit den Abgründen
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