Der Traum & Das Spiel der MacKenzies (German Edition)
konnte.
Sunny sah auf ihre Armbanduhr. Viertel vor zwei, Ortszeit. Bis heute Abend um neun, Pazifikzeit, musste der Koffer in Seattle sein. Eigentlich war das locker zu schaffen, aber so wie die Dinge liefen, verlor Sunny die Hoffnung, die Lieferung pünktlich übergeben zu können. Ihr missfiel der Gedanke, in der Firma anzurufen, um schon wieder einen Fehlschlag zu melden, selbst wenn sie diesmal keine Schuld traf. Wenn sich nicht bald etwas tat, würde ihr jedoch gar nichts anderes übrig bleiben. Der Kunde musste über die Verspätung informiert werden.
Also gut. Sie würde essen gehen, und wenn sie zurückkam und sich bis dahin nichts geändert hatte, würde sie es bei einer anderen Fluglinie versuchen. Obwohl … Sunny wusste bereits, dass die Aussichten alles andere als rosig waren. Sie befand sich eindeutig in der Flugverbindungshölle.
Entschlossen packte sie Aktenkoffer und Reisetasche und machte sich auf den Weg, etwas anderes zu finden als Sandwichs aus dem Automaten. Aus einem Ausgang zu ihrer Linken strömten angekommene Fluggäste. Sunny wich nach rechts aus, um den Weg freizumachen. Es nützte nichts, jemand stieß gegen ihre linke Schulter, und sie wandte automatisch den Kopf, um zu sehen, wer es war.
Doch da war niemand. Eine automatische Reaktion, verfeinert während vieler Jahre, in denen Sunny gelernt hatte, über die Schulter zu schauen, rettete sie. Ihr Griff am Aktenkoffer wurde fester, genau in dem Moment, als sie einen Ruck am Riemen spürte und das Leder schlaff an ihrer Schulter herabfiel.
Mist! Nicht schon wieder!
Sie duckte sich und schwang herum, um ihrem Angreifer mit der schweren Reisetasche einen Schlag zu versetzen. Dabei erhaschte sie einen Blick in hinterhältige schwarze Augen und auf ein unrasiertes Gesicht. Dann sah sie das Messer in seiner Hand, mit dem der Riemen durchtrennt worden war. Die andere Hand des Mannes lag bereits um den Griff des Aktenkoffers und zog. Die Reisetasche traf den Mann an der Schulter. Er stolperte rückwärts, doch er ließ nicht los.
Sunny dachte nicht einmal daran, um Hilfe zu rufen. Dazu war sie viel zu wütend. Außerdem hätte sie das nur abgelenkt. Stattdessen holte sie erneut mit der Reisetasche aus und zielte auf die Hand, in der der Mann das Messer hielt.
Um sich herum hörte sie alarmierte Stimmen laut werden, während die Umstehenden in dem Versuch, dem Handgemenge auszuweichen, andere anrempelten. Nur die Wenigsten, falls überhaupt irgendjemand, hatten den Auslöser dieses Aufruhrs mitbekommen.
Alles passierte viel zu schnell, die Sicht war eingeschränkt. Sunny konnte nicht darauf hoffen, dass ihr jemand zu Hilfe kam. Also ignorierte sie den Lärm um sich herum und konzentrierte sich auf den Volltrottel, der seine dreckigen Finger um ihren Aktenkoffer geklammert hatte.
Klatsch! Die Reisetasche traf ihn erneut, doch er ließ nicht los. „Miststück!“, fluchte er und stieß das Messer in ihre Richtung.
Sunny sprang zurück, ihren Fingern entglitt der Koffer. Triumphierend entriss der Mann ihn ihr ganz. Sie griff nach dem Riemen und erwischte ihn, zog, doch dann blitzte eine silberne Schneide auf. Ein Schnitt, und der Riemen baumelte schlaff in Sunnys Hand. Das plötzliche Verschwinden der Gegenkraft ließ Sunny nach hinten taumeln.
Der Mann drehte sich auf dem Absatz und sprintete los. Sobald Sunny das Gleichgewicht wieder gefunden hatte, setztesie ihm nach und rief immer wieder: „Haltet ihn!“ Ihr langer Rock hatte einen Schlitz an der Seite, sodass sie rennen konnte, doch hatte ihr Angreifer nicht nur einen guten Vorsprung. Sie kam zu langsam voran, weil sie nicht wagte, die Reisetasche stehen zu lassen, die ihr beim Laufen ständig gegen die Beine schlug und sie behinderte. Ungelenk rannte sie ihm nach, auch wenn sie wusste, dass es sinnlos war. Verzweiflung schnürte ihr den Magen zusammen. Sie konnte nur beten, dass jemand aus der Menge das Zeug zum Helden hatte und den Dieb aufhielt.
Ihr Gebet wurde erhört.
Weiter vorn stand ein großer Mann, den Rücken ihr zugewandt. Jetzt drehte er sich um und betrachtete eher gelangweilt das Szenario. Der Dieb war fast bei ihm angekommen. „Halten Sie den Kerl da fest!“, rief Sunny, auch wenn es sicher viel zu spät für den großen Mann war, um noch zu reagieren.
Sie hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen. Mit einem Blick hatte der große Mann die Situation erfasst, und im nächsten Moment drehte er sich schon auf einem Bein, das andere lang ausgestreckt. Der Tritt
Weitere Kostenlose Bücher