Der Traum des Highlanders
Richtung. Er lief so lange, bis ihn seine Wunde zwang anzuhalten, beugte sich vornüber und stützte keuchend seine Hände auf den Knien ab.
Lautlos kam Mary angeschwebt, landete vor ihm auf der Erde, faltete die Flügel und starrte ihn reglos an.
»Ich weiß, dass wir vor drei Tagen woanders angekommen sind«, stieß er ermattet aus, während er sich auf die Erde fallen ließ. »Aber weiter schaffe ich es heute einfach nicht.«
Mary schob sich dicht an ihn heran und pickte ihm vorsichtig in die Schulter.
»Wir haben den Priester nicht gefragt, ob ich an genau der Stelle stehen muss, an der ich gelandet bin, wenn ich wieder nach Hause will«, fuhr Robbie müde fort. »Aber wenn wir die Rückreise woanders starten, landen wir wahrscheinlich höchstens zwei, drei Kilometer vom Gipfel des Tar Stone entfernt, sonst nichts.«
Er legte sich rücklings ins Moos, breitete die Arme aus und klappte seufzend seine Augen zu. »Ich muss mich nur kurz ausruhen«, wisperte er. »Die letzten drei Tage waren ziemlich … ereignisreich.«
Mary sprang auf seine Brust, wandte ihm den Rücken zu und zog mit ihrem Schnabel hart an seinem Gürtel.
Robbie stieß ein schmerzerfülltes Lachen aus. »Ich glaube, diese Schweine wollten mich tatsächlich umbringen.« Er legte die gestohlene MacBain’sche Decke über das MacKeage’sche Plaid, in das er eingewickelt war, und stieß, als seine Wunde protestierte, ein leises Stöhnen aus. »Das ist beinahe witzig, findest du nicht auch?«
Endlich hatte Mary das Stück des Kirschholzstabs unter dem Gürtel hervorgezerrt.
»Bald, meine Kleine, sobald ich wieder halbwegs bei Kräften bin«, flüsterte Robbie rau. »Nachdem mich meine Vorfahren freundlicherweise nicht getötet haben, wird mich der gottverdammte Sturm umbringen, wenn du mir vorher nicht ein bisschen Ruhe gönnst.«
Mary hörte nicht auf ihn. Sie hielt das Stückchen Kirschholz fest in ihrem Schnabel und breitete ihre Flügel über Robbie aus.
Es begann als leichter Hauch, doch innerhalb von wenigen Sekunden erhob sich ein heulender Wind, die Luft lud sich elektrisch auf und blendend grelle Blitze zuckten am Firmament.
Robbie umklammerte sein Schwert, knirschte mit den Zähnen und klappte abermals die Augen zu.
Plötzlich wurde das Gewicht der Schneeeule auf seiner Brust durch das Gewicht des Kirschholzstücks ersetzt.
»Nein!«, schrie Robbie und versuchte Mary festzuhalten.
Der Vogel breitete die Flügel aus, entwand sich flatternd seinem Griff und verschwand mit einem schrillen Pfiff im dunklen Wald.
Robbies erboster Schrei wurde von dem ohrenbetäubenden Geheul des Sturmes übertönt. Er ließ sich wieder auf den Boden fallen, knirschte in Erwartung der bevorstehenden Schmerzen nochmals mit den Zähnen, umklammerte erneut sein Schwert und drückte das MacBain’sche Plaid fest gegen seine Brust. Er konnte, verdammt noch mal, nur hoffen, dass stimmte, was der Druide behauptet hatte. Dass er, auch wenn er drei höllische Tage hier verbracht hatte, nicht mehr als eine Nacht aus der modernen Zeit verschwunden war.
Robbies letzter Gedanke, bevor der Strudel ihn verschlang, war der an die Highlander daheim. Um die sechs MacBain’-schen und die vier MacKeage’schen Krieger, die vor zehn Jahren verschwunden waren, rankten sich die wildesten Legenden, der fürchterliche Krieg, den sein Papa vom Zaun gebrochen hatte, dauerte noch immer an.
Cùram de Gairns angeblicher Zauberbaum war offenbar ein Hirngespinst des alten Daar.
5
C atherine Daniels wurde von einem Donnerschlag geweckt, der die alte Jagdhütte erbeben ließ. Sie setzte sich eilig auf, sah nach ihren Kindern und war überrascht und gleichzeitig erleichtert, dass keins der beiden wach geworden war. Sie stand lautlos auf, tappte barfuß über den kalten Boden und zog möglichst leise die halb verrottete, hölzerne Eingangstür der rustikalen Hütte auf.
Was zum Teufel war hier los? Dies war das zweite Mal seit gestern Abend, dass es donnerte und blitzte, der in weiches, morgendliches Dämmerlicht getauchte Himmel war dabei nicht nur wolkenlos, sondern mit funkelnden Sternen übersät. Das Wetter hier in Maine war wirklich eigenartig, dachte sie. Wenn man morgens aufstand, wusste man nicht, ob es schneien oder regnen würde oder ob die Sonne vielleicht so warm schien, dass es kein Problem war, wenn man ohne Jacke durch die Gegend lief. Und jetzt gab es plötzlich Donnergrollen ohne Regen und Blitze ohne Wolken. Wenn das nicht seltsam war.
Am liebsten hätte sie
Weitere Kostenlose Bücher