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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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ich mich eurer Kultur so fern wie die Eingeborenen aus Afrika oder dem Amazonasgebiet.«
    »Mir und den anderen erging es ähnlich mit dir, Roger. Wir beneideten dich um deine Reisen, deine Abenteuer, dass du so vieles an so unterschiedlichen Orten erlebt hattest. Yeats hat es einmal so ausgedrückt: ›Roger Casement ist der universellste Ire, der mir je begegnet ist. Ein wahrer Weltbürger.‹ Ich glaube, das habe ich dir nie erzählt.«
    Sie erinnerten sich an eine Jahre zurückliegende Unterhaltung mit Herbert Ward in Paris, bei der sie über Symbolegesprochen hatten. Herbert hatte ihnen den frischen Abguss eines afrikanischen Fetischpriesters gezeigt, mit dem er sehr zufrieden war. In der Tat war ihm die Gestalt mit den rituellen Narben im Gesicht, die einen Besen und einen Totenkopf in der Hand hielt, wunderbar gelungen. Trotz der realistischen Ausführung ging eine geheimnisvolle Aura von ihr aus, spürte man die Macht, die dem Priester von den Gottheiten des Waldes, der Flüsse und der wilden Tiere verliehen worden war und durch die er für die Gemeinschaft Verbindung mit dem Jenseits aufnehmen konnte.
    »Wir alle tragen einen solchen Vorfahren in uns«, sagte Herbert und deutete auf die Bronzestatue, die mit halb geschlossenen Augen in Trance versunken schien. »Der Beweis? Die Symbole, denen wir voller Respekt unseren Kult erweisen: Wappen, Flaggen, Kreuze.«
    Roger und Alice argumentierten, die Symbole könnten nicht als Anachronismen aus einer irrationalen menschlichen Vorzeit betrachtet werden. Im Gegenteil, eine Flagge zum Beispiel sei das Symbol einer Gemeinschaft, deren Mitglieder sich solidarisch fühlen, Glaubensvorstellungen, Anschauungen und Bräuche teilen und individuelle Unterschiede und Abweichungen respektieren würden, die das Gemeinsame nicht untergrüben, sondern es noch stärken würden. Beide gestanden, dass es sie stets berühre, die republikanische Flagge Irlands im Wind flattern zu sehen. Wie hatten Herbert und Sarita sich über dieses Bekenntnis lustig gemacht!
    Als Alice erfuhr, so sagte sie, dass zur Proklamation der irischen Unabhängigkeit durch Pearse republikanische irische Fahnen auf den Dächern des Hauptpostamtes und von Liberty Hall gehisst worden waren, und als sie später die Fotos der von den Dubliner Rebellen eingenommenen Gebäude gesehen habe, auf denen wie in den Fenstern und an den Brüstungen des Hotels Metropole und des Hotels Imperial Fahnen wehten, habe sich ihr der Hals zugeschnürt. Dieser Anblick musste bei denen, die dort gewesen waren, ein unermessliches Glücksgefühl ausgelöst haben. Später hörtesie auch, die Frauen von Cumann na mBan hätten in den Wochen vor der Erhebung nicht nur Bomben fabriziert, Dynamitschachteln, Granaten, Spieße und Bajonette und Erste-Hilfe-Pakete zusammengestellt, sondern auch die grün-weiß-orangen Fahnen genäht, mit denen am Morgen des 24. April die Dächer der Innenstadt von Dublin geschmückt waren. Vor allem in Plunketts Haus in Kimmage war ein Großteil der Wahrzeichen hergestellt worden, die während der Erhebung verwendet wurden.
    »Es war ein historischer Moment«, sagte Alice. »Wir missbrauchen dieses Wort. Vor allem für Politiker ist jeder mögliche Schwachsinn ›historisch‹. Aber diese republikanischen Flaggen im Himmel des alten Dublin waren es. Sie werden in bewegender Erinnerung bleiben. Als historischer Moment. Das ging um die Welt, mein Lieber. In den Vereinigten Staaten war das Bild auf der Titelseite vieler Zeitungen. Hättest du es nicht auch gern gesehen?«
    Doch, das hätte er. Alice berichtete weiter, auf der Insel brächten inzwischen viele den Verboten zum Trotz republikanische Fahnen an ihren Häusern an, sogar in den probritischen Städten Belfast und Derry.
    Gleichzeitig zeigten trotz des Krieges auf dem Kontinent, von dem täglich neue beunruhigende Nachrichten einträfen – die Zahlen der Opfer bei den Gefechten stiegen unablässig, und der Ausgang sei nach wie vor ungewiss –, selbst in England viele Menschen den Wunsch, den von der Militärregierung deportierten Iren zu helfen. Hunderte Männer und Frauen seien wegen vermeintlicher subversiver Aktivitäten des Landes verwiesen worden und jetzt, über ganz England verstreut, abgelegenen Ortschaften zugewiesen und größtenteils mittellos. Alice gehörte einer der Organisationen an, die ihnen Geld, Bekleidung und Lebensmittel zukommen ließen. Und sie habe keine Mühe, sagte sie Roger, finanzielle und anderweitige Unterstützung

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