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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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nun in Irland auf den Straßen, in den Kirchen, in den Nachbarschaftsvereinen zu zahlreichen spontanen Sympathiekundgebungen für die Märtyrer und die zu langen Haftstrafen verurteilten Gefangenen, während Polizisten und Soldaten der britischen Armee offene Feindseligkeit entgegenschlage. Sie sähen sich solchen Beschimpfungen und Hassparolen vonseiten der Passanten ausgesetzt, dass die Militärregierung eine Anordnung erlassen habe, Polizisten und Soldaten sollten nur noch in Gruppen patrouillieren und außer Dienst Zivilkleidung tragen. Denn die öffentliche Ablehnung wirkte sich langsam negativ auf die Moral der Ordnungskräfte aus.
    Alice berichtete weiter, der größte Umschwung habe sich innerhalb der katholischen Kirche vollzogen. Die obere Kirchenhierarchie und ein Großteil der Priester hatten sich stets für die pazifistischen Thesen, die einen stufenweisen Prozessvorsahen und eher zugunsten der Home Rule -Regelung ausgesprochen, die John Redmond und seine Irish Parliamentary Party vertraten, als für den radikalen Separatismus von Sinn Féin , der Gälischen Liga, der Irish Revolutionary Brotherhood und der Volunteers . Doch das habe sich seit der Erhebung geändert. Möglicherweise habe die religiöse Grundhaltung der Aufständischen dazu beigetragen. Die Zeugnisse der Geistlichen, die wie Bruder Austin selbst an Barrikaden und in den zu Rebellenposten umfunktionierten Gebäuden gewesen waren, ließen daran keinen Zweifel: Es waren Gottesdienste abgehalten worden, die Aufständischen hatten gebeichtet und die heilige Kommunion empfangen, viele hatten die Geistlichen um ihren Segen gebeten, bevor sie zu schießen begannen. In allen Stellungen hatte man sich an den strikten Befehl der Anführer gehalten, keinen Tropfen Alkohol zu trinken. In Gefechtspausen beteten die Aufständischen kniend den Rosenkranz. Ausnahmslos alle Hingerichteten baten um priesterlichen Beistand, ehe sie vor das Erschießungskommando gestellt wurden, selbst James Connolly, der sich zum Sozialismus bekannte und im Ruf stand, Atheist zu sein. Connolly küsste das Kruzifix, das ihm der Kaplan des Gefängnisses von Kilmainhaim hinhielt, ehe er, schwer verwundet auf einen Stuhl gefesselt, erschossen wurde. Ab Mai wurden in ganz Irland zahlreiche Gedenkgottesdienste und Würdigungen für die Märtyrer der Osterwoche abgehalten. Es verging kein Sonntag, an dem die Gemeindepriester in ihrer Predigt die Gläubigen nicht dazu aufriefen, für die Seelen der hingerichteten und von der britischen Armee im Verborgenen begrabenen Patrioten zu beten. Der Oberbefehlshaber, Sir John Maxwell, hatte offiziell Beschwerde bei der katholischen Kirche eingelegt, doch statt eine Erklärung abzugeben, nahm Bischof O’Dwyer die Priester in Schutz und beschuldigte vielmehr den General, wie ein »militärischer Diktator« zu agieren und mit den Hinrichtungen und der Weigerung, den Familien die Leichname der Erschossenen zu übergeben, ganz und gar unchristlich zu handeln. Vor allem die Tatsache, dass die Militärregierungunter Berufung auf das Kriegsrecht die Patrioten heimlich bestattet habe, um zu verhindern, dass ihre Gräber zu republikanischen Pilgerstätten würden, rief eine allgemeine Empörung selbst in den Teilen der Bevölkerung hervor, die den Radikalen bis dahin keine Sympathie entgegengebracht hatten.
    »Kurz, die Papisten gewinnen immer mehr an Boden, und wir anglikanischen Nationalisten schrumpfen zusammen wie Balzacs Chagrinleder. Fehlt nur noch, dass wir beide zum Katholizismus übertreten, Roger«, scherzte Alice.
    »Ich habe das praktisch schon getan«, bekannte Roger. »Aber nicht aus politischen Gründen.«
    »Ich würde es niemals tun, vergiss nicht, dass mein Vater ein Pfarrer der Church of Ireland war«, sagte Alice. »Was dich betrifft, so erstaunt mich das gar nicht, seit einiger Zeit schon habe ich es kommen sehen. Erinnerst du dich, wie wir dich bei meinen Abenden damit aufzogen?«
    »Bei deinen unvergesslichen Abenden«, seufzte Roger. »Ich muss dir ein Geständnis machen. Jetzt, da ich so viel Zeit zum Nachdenken habe, stelle ich mir oft die Frage: Wo und wann war ich in meinem Leben am glücklichsten? Und die Antwort lautet: Während der Dienstagabende in der Grosvenor Road, liebe Alice. Ich habe es dir nie gesagt, aber ich verließ dein Haus jedes Mal so frohgemut, mit dem Leben versöhnt. Ich bedauerte einzig, nie studiert zu haben, nie eine Universität besucht zu haben. Wenn ich dir und deinen Freunden zuhörte, fühlte

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