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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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Gemeinschaften wurden Protestdemonstrationen gegen die extremen Repressionen abgehalten. John Devoy hatte fantastische Arbeit geleistet und erreicht, dass die Elite der amerikanischen Gesellschaft die Amnestiegesuche unterschrieb, von Künstlern und Geschäftsleuten bis zu Politikern, Professoren und Journalisten. Das Abgeordnetenhaus verurteilte in einer Erklärung die Schnellhinrichtungen von Gegnern, die sich ergeben hatten, scharf. Trotz der Niederlage hatte Irlands Ruf also nicht gelitten. Die Nationalisten erfuhren mehr internationale Unterstützung denn je.
    »Die Besuchszeit ist längst abgelaufen«, unterbrach sie der Sheriff. »Sie müssen sich jetzt wirklich verabschieden.«
    »Ich werde eine weitere Erlaubnis erwirken, ich komme noch einmal, bevor …«, Alice unterbrach sich und stand auf. Sie war mit einem Mal blass geworden.
    »Aber natürlich, liebe Alice«, sagte Roger und umarmte sie. »Ich hoffe, es gelingt dir. Du weißt gar nicht, wie gut es mir tut, dich zu sehen. Es erfüllt mich mit Ruhe und Frieden.«
    Doch nicht dieses Mal. Als er in seine Zelle zurückkehrte, hatte er ständig vor Augen, was Alice ihm vom Osteraufstand erzählt hatte, als hätten die Berichte seiner Freundin ihn aus dem Pentonville-Gefängnis mitten in die tobenden Straßengefechte versetzt. Eine übermächtige Sehnsucht nach Dublin überkam ihn, nach den roten Backsteinhäusern, den winzigen, hinter Holzzäunen verborgenen Gärten, den lärmenden Trambahnen, den Armenvierteln, deren notdürftige Behausungen und barfüßige Bewohner die Inseln des modernen Lebens umgaben. Wie sah das alles nun wohl aus, nach den Artilleriebeschüssen, den Brandbomben, den Einstürzen? Er dachte an Abbey Theatre, Olympia, die warmen Kneipen mit ihrem Biergeruch und den aufwogenden Gesprächen. Würde Dublin irgendwann wieder das sein, was es einmal gewesen war?
    Der Sheriff bot ihm nicht an, dass er duschen könne, und Roger fragte ihn nicht danach. Er wirkte so niedergeschlagen und abwesend, dass Roger ihn nicht ansprechen wollte. Er hatte Mitleid mit ihm und bedauerte, nichts tun zu können, um ihn aufzumuntern. Zweimal hatte der Sheriff bereits gegen die Regeln verstoßen und ihn nachts in seiner Zelle aufgesucht, und beide Male musste Roger bedauernd feststellen, dass er unfähig war, Mr. Stacey den Trost zu spenden, den er wohl suchte. Wie beim ersten Mal hatte er auch bei der zweiten Gelegenheit nur von seinem Sohn Alex gesprochen und jenen fernen Ort Loos verflucht, an dem er gefallen war. Irgendwann hatte der Wärter Roger nach einem langen Schweigen gestanden, wie schwer die Erinnerung auf ihm laste, Alex als kleinen Jungen einmal verprügelt zu haben, weil er in der Bäckerei an der Ecke einen Kuchen geklaut habe. »Es war ein Vergehen und musste bestraft werden«, sagte Mr. Stacey, »aber nicht so hart. Es ist unentschuldbar grausam, ein Kind so zu verprügeln.« Roger hatte versucht, ihn zu beruhigen, und ihm erzählt, sein Vater, Hauptmann Casement, habe ihn, seinen Bruder und sogar seine Schwester häufig geschlagen, trotzdem hätten sie ihn immer geliebt. Doch hatte der Sheriff ihm überhaupt zugehört? Stumm hatte er dagesessen, schwer atmend in seinen Schmerz versunken.
    Zurück in seiner Zelle, streckte Roger sich auf der Pritsche aus. Das Gespräch mit Alice hatte ihm zugesetzt. Plötzlich fühlte er Wehmut, nicht dabei gewesen zu sein, nicht in seiner Uniform der Volunteers und mit der Mauser in der Hand an dem Aufstand teilgenommen zu haben, ohne sich darum zu scheren, ob das Ganze zu einem Gemetzel ausarten würde. Vielleicht hatten Pearse, Plunkett und die anderen recht. Es ging nicht darum, zu gewinnen, sondern den größtmöglichen Widerstand zu leisten. Die christlichen Märtyrer nachzuahmen, durch deren heroisches Blutopfer den heidnischen Göttern ein Ende bereitet wurde und Christus, der Erlöser, Einzug gehalten hatte. Ebenso würde das vergossene Blut der Volunteers Früchte tragen, Irland zur Freiheit verhelfen,den Blinden die Augen öffnen. Wie viele hatten sich für Sinn Féin , die Volunteers , das Bürgerheer und die Irisch Revolutionary Brotherhood in die Schlacht begeben, obwohl sie wussten, dass es ein selbstmörderisches Unterfangen war? Sicherlich Hunderte, Tausende. Patrick Pearse als Allererster. Er war immer der Überzeugung gewesen, das Märtyrertum sei die wichtigste Waffe im Kampf um eine gerechte Sache. War das nicht ein Zug des irischen Charakters, des keltischen Erbes? Die katholische

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