Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
Vom Netzwerk:
alles wurde von Saldaña Roca und Hardenburg in Gang gesetzt. Es war dumm, was ich gesagt habe. Ich hoffe, dass Ihr Kommen nützlich sein wird und sich die Dinge ändern werden. Verzeihen Sie mir, Mr. Casement. Die vielen Jahre im Amazonasgebiet haben mich skeptisch gemacht. In Iquitos verliert man irgendwann den Glauben an die Gerechtigkeit. Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich nach England zurückkehre.Wie ich sehe, haben Ihre Jahre in Brasilien keinen Pessimisten aus Ihnen gemacht. Beneidenswert.«
    Nachdem sie einander eine gute Nacht gewünscht und sich zurückgezogen hatten, fand Roger lange keinen Schlaf. War es richtig gewesen, diese Aufgabe zu übernehmen? Als ihn der Außenminister, Sir Edward Grey, vor mehreren Monaten in sein Büro bestellt und ihm erklärt hatte: »Der Skandal um die Verbrechen in Putumayo hat untolerierbare Ausmaße angenommen. Die Öffentlichkeit verlangt von der Regierung, zu handeln. Und es gibt niemanden, der geeigneter wäre als Sie, um dorthin zu reisen. Die Peruvian Amazon Company hat selbst eine unabhängige Untersuchungskommission zusammengestellt, die sich ebenfalls nach Peru begeben wird. Aber ich möchte, dass Sie einen eigenständigen Bericht für die Regierung anfertigen. Ihr Einsatz für den Kongo hat Ihnen großes Ansehen eingebracht. Sie sind unser Spezialist für Gräueltaten. Sie dürfen nicht nein sagen.« Zunächst hatte Roger ablehnen wollen. Dann aber dachte er, dass ebendie im Kongo geleistete Arbeit eine moralische Pflicht bedeute, auf das Angebot einzugehen. War das eine richtige Entscheidung gewesen? Stirs Skepsis jedenfalls schien ihm kein gutes Omen. Sir Edward Greys Bemerkung, er sei ein »Spezialist für Gräueltaten«, ging ihm nicht aus dem Sinn.
    Anders als der Konsul war er der Meinung, dass Benjamín Saldaña Roca dem Amazonasgebiet, seinem Land und der ganzen Welt einen großen Dienst erwiesen hatte. Er hatte die Artikel von Saldaña Roca in der Zeitung La Sanción gelesen, nachdem er bei Sir Edward gewesen war und dieser ihm eine Entscheidungsfrist von vier Tagen gesetzt hatte. Das Foreign Office hatte ihm ein Dossier überreicht, darunter die Artikel von Hardenburg und Saldaña Roca. Seine erste Reaktion war Ungläubigkeit. Was in den Artikeln stand, hörte sich ganz unwahrscheinlich an, als wären sie das Produkt einer sadistischen Fantasie. Doch dann erinnerte sich Roger, dass alle Welt ebenso ungläubig reagiert hatte, als Morel und er die Situation im Kongo publik gemacht hatten. So schützen sich die Menschenvor der Konfrontation mit der Wahrheit. Wenn solche Grausamkeiten im Kongo geschehen konnten, warum nicht auch im Amazonasgebiet?
    Bedrückt stand er wieder auf und setzte sich auf die Terrasse. Der Himmel war pechschwarz, kein Stern mehr zu sehen. Auch die Stadt lag jetzt dunkler da, nur der Lärm hielt an. Wenn Saldaña Rocas Anschuldigungen der Wahrheit entsprachen, konnte man annehmen, dass der Journalist tatsächlich im Fluss gelandet war. Stirs’ fatalistische Art verstimmte ihn. Als wären diese Geschehnisse etwas Schicksalhaftes und nicht das Werk des Menschen. Er hatte ihn einen »Fanatiker« genannt. Saldaña Roca ein Fanatiker der Gerechtigkeit? Zweifellos. Ein waghalsiger Draufgänger. Ein mittelloser Mann ohne Beziehungen. Ein amazonischer Morel. Ein Gläubiger vielleicht? Er hatte so gehandelt, weil er glaubte, dass die Welt mit dieser Schande nicht weiterexistieren dürfe. Roger dachte an Afrika, wie ihn die Erfahrung von Bosheit und Leid kämpferisch gemacht hatten und er alles daransetzen wollte, die Welt zu verbessern. Er fühlte sich Saldaña Roca beinahe brüderlich verbunden. Zu gern hätte er ihm die Hand geschüttelt und ihm gesagt: »Sie haben etwas sehr Wichtiges geleistet, mein Herr.«
    Ob Saldaña Roca selbst bis nach Putumayo vorgedrungen war? Hatte er sich in die Höhle des Löwen begeben? Aus seinen Artikeln ging das nicht direkt hervor, doch sie wirkten so fundiert, dass er vermutlich mit eigenen Augen gesehen hatte, worüber er berichtete. Roger hatte Saldaña Rocas und Hardenburgs Artikel so oft gelesen, dass es ihm manchmal vorkam, als wäre er selbst schon dort gewesen.
    Er schloss die Augen und sah das riesige, in etliche Kautschukstationen unterteilte Gebiet vor sich. Die wichtigsten Stationen hießen La Chorrera und El Encanto, sie wurden jeweils von einem eigenen Chef geführt. »Oder vielmehr von einem eigenen Ungeheuer.« Eine andere Bezeichnung gab es für Menschen wie Víctor Macedo und Miguel

Weitere Kostenlose Bücher