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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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Vortag in die Wäsche gegeben hatte. Er fragte sie, was er ihr schuldig sei, worauf die junge Frau ihn verständnislos ansah. Er bat Frederick Bishop, ihr die Frage auf Huitoto zu übersetzen, doch sie schien weiterhin nicht zu verstehen, was er meinte.
    »Sie schulden ihr nichts«, sagte Bishop. »Hier gibt es kein Geld. Außerdem ist sie eine der Frauen des Vorstehers von La Chorrera, Víctor Macedo.«
    »Wie viele hat er denn?«
    »Im Moment fünf«, entgegnete der Barbadier. »Als ich hier noch arbeitete, waren es mindestens sieben. Er hat sie inzwischen ausgewechselt. Das ist so üblich.«
    Grinsend machte er einen Witz, über den Roger nicht lachen konnte:
    »Bei diesem Klima brauchen die Frauen sich so schnell auf wie Kleidung. Man muss sich von Zeit zu Zeit neue zulegen.«
    Die nächsten zwei Wochen ihres Aufenthaltes in La Chorrera, bevor die Kommission zur Plantage Occidente weiterziehen würde, sollten Roger als die geschäftigsten der ganzen Reise in Erinnerung bleiben. Zur Zerstreuung schwamm er im Fluss, an Stellen mit geringer Strömung und an kleineren Wasserfällen, unternahm lange Wanderungen durch den Wald, fotografierte, und am späten Abend spielte er mit seinenGefährten Bridge. Doch einen Großteil seiner Zeit brachte er mit Nachforschungen zu, er befragte die Leute vor Ort, hielt seine Eindrücke fest und besprach sie mit den anderen.
    Entgegen ihrer Befürchtungen ließen sich Philip Bertie Lawrence, Seaford Greenwich und Stanley Sealy nicht durch Juan Tizóns Anwesenheit einschüchtern. Vor ihm und der versammelten Kommission bestätigten sie, was sie Roger erzählt hatten und ergänzten ihre Aussagen mit weiteren blutigen Episoden. Bisweilen sah Roger während der Befragungen das eine oder andere Kommissionsmitglied erbleichen.
    Hinter ihnen saß Juan Tizón, hörte schweigend zu und machte sich in einem kleinen Heft Notizen. In den ersten Tagen versuchte er nach jeder Anhörung, die Aussagen über Folterungen, Morde und Verstümmelungen herunterzuspielen und in Frage zu stellen. Doch nach dem dritten oder vierten Tag schlug etwas in ihm um. Bei den Mahlzeiten aß er kaum noch einen Bissen, und wenn jemand sich an ihn wandte, antwortete er mit einem einsilbigen Murmeln. Als sie am fünften Tag vor dem Essen einen Aperitif tranken, platzte es aus ihm heraus: »Das hier übersteigt jegliches Vorstellungsvermögen. Ich schwöre Ihnen bei meiner seligen Mutter, bei meiner Frau und meinen Kinder, die mir das Liebste auf der Welt sind, dass ich keine Ahnung hatte, was hier vorgeht. Ich bin ebenso entsetzt wie Sie. Was wir zu hören bekommen, macht mich krank. Mag sein, dass die Anschuldigungen dieser Barbadier, die sich bei Ihnen einschmeicheln wollen, etwas übertrieben sind. Aber selbst dann haben wir es immer noch mit unentschuldbaren, unmenschlichen Verbrechen zu tun, die geahndet und bestraft werden müssen. Ich schwöre Ihnen, dass ich …«
    Seine Stimme versagte, und er ließ sich auf einen Stuhl sinken. Eine ganze Weile saß er mit gesenktem Kopf da, sein Glas in der Hand. Er stammelte, weder Julio C. Arana noch seine leitenden Mitarbeiter in Iquitos, Manaus und London hätten die leiseste Ahnung, was hier geschehe. Er selbst werde als Allererster fordern, dem ein Ende zu machen. Roger war zunächst beeindruckt von diesen Worten, letztlich klangen sieihm jedoch nicht völlig entschlossen. Vermutlich kam Tizón seine Abhängigkeit in den Sinn, vielleicht dachte er an die Zukunft seiner Familie, was letztlich nur menschlich war. Ungeachtet dessen verhielt sich Juan Tizón von diesem Tag an nicht mehr wie ein leitender Angestellter der Peruvian Amazon Company , sondern wie ein weiteres Kommissionsmitglied. Er stand der Kommission diensteilig und hilfsbereit zur Seite, brachte oft selber neue Informationen ein. Und stets mahnte er zur Vorsicht. Er war argwöhnisch geworden, misstraute allen und jedem. Da sie nun wüssten, was sich hier zutrage, befinde sich ihrer aller Leben in Gefahr, vor allem das des Generalkonsuls. Er war beständig auf der Hut, befürchtete, Víctor Macedo könnte erfahren, was die Barbadier enthüllt hatten. In diesem Fall sei nicht auszuschließen, dass dieses Individuum, um zu vermeiden, der Polizei übergeben und vor Gericht gestellt zu werden, sie in einen Hinterhalt locken und töten und danach behaupten würde, sie seien von den Wilden umgebracht worden.
    Das Ganze nahm eine neue Wendung, als es eines Morgens noch vor Sonnenaufgang an Rogers Zimmertür klopfte.

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