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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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Roger öffnete, und vor ihm stand Donal Francis, der Barbadier, der bis dahin versichert hatte, es gebe keinen Grund zur Beanstandung. Er schien ängstlich und flüsterte, er habe nachgedacht und wolle nun doch die Wahrheit sagen. Roger ließ ihn herein, da Donal fürchtete, auf der Terrasse könne man sie hören. Sie setzten sich auf den Boden, und Donal begann mit dem Geständnis, er habe aus Angst vor Víctor Macedo gelogen. Dieser habe ihm gedroht, dass er, sollte er den Engländern etwas von den wahren Zuständen verraten, Barbados niemals wiedersehen würde, weil er, Víctor Macedo, ihm höchstpersönlich die Hoden abschneiden, ihn nackt an einen Baum fesseln und den Blattschneiderameisen zum Fraß überlassen würde. Roger beruhigte ihn. Gemeinsam mit den anderen Barbadiern würde man ihn nach Bridgetown zurückbringen. Allerdings müsse Francis seine Aussage vor der Kommission und Tizón machen.
    Dies geschah noch am selben Tag im Speisezimmer, in dem sie ihre Sitzungen abhielten. Francis wirkte zutiefst verängstigt. Mit weit aufgerissenen Augen saß er da und biss sich auf die dicken Lippen, oft fand er nicht die richtigen Worte. Die Anhörung dauerte beinahe drei Stunden. Besonders dramatisch wurde sein Bericht, als er eine zwei Monate zurückliegende Begebenheit erwähnte, bei der zwei Huitotos vorgegeben hatten, krank zu sein, um die lächerliche Menge an Kautschuk zu rechtfertigen, die sie gesammelt hatten. Víctor Macedo habe ihm und einem der Jungs namens Joaquín Piedra befohlen, die beiden an Händen und Füßen zu fesseln und so lange im Fluss unter Wasser zu halten, bis sie ertrunken seien. Dann habe er den Verständigen befohlen, ihre Leichen in den Wald zu schaffen. Donal bot den Kommissionsmitgliedern an, sie zu der Stelle zu bringen, wo noch einige Gliedmaßen und Knochen der Huitotos zu finden seien, die die wilden Tiere übrig gelassen hatten.
    Am 28. September brachen Roger und die Kommissionsmitglieder in einem Boot der Peruvian Amazon Company von La Chorrera zur Station Occidente auf. Sie fuhren mehrere Stunden den Igaraparaná flussaufwärts, machten in den Stationen Victoria und Naimenes Halt, um etwas zu essen, nächtigten auf dem Boot und kamen am folgenden Tag nach drei weiteren Fahrtstunden in Occidente an. Der Vorsteher Fidel Velarde und seine Gehilfen Torrico, Rodríguez und Acosta nahmen sie in Empfang. ›Die sehen alle aus wie Schurken und Totschläger‹, dachte Roger. Sie waren mit Pistolen und Winchester-Gewehren bewaffnet. Wohl auf höhere Anweisung hin verhielten sie sich den Ankömmlingen gegenüber beflissen zuvorkommend. Juan Tizón ermahnte erneut zur Vorsicht. Keinesfalls dürften sie gegenüber Velarde und seinen Jungs erwähnen, was sie bislang herausgefunden hatten.
    Occidente war eine kleinere Siedlung als La Chorrera und von einem Zaun aus spitzen Bambusstangen umgeben. Mit Karabinern bewaffnete Verständige standen an den Eingängen.
    »Warum ist diese Station so bewacht?«, fragte Roger Juan Tizón. »Haben sie Angst, die Indios könnten sie angreifen?«
    »Nicht die Indios. Auch wenn man natürlich nie weiß, ob es nicht eines Tages einen neuen Katenere geben wird. Aber hier schützt man sich vor den Kolumbianern, die sich diese Gebiete gern unter den Nagel reißen würden.«
    Fidel Velarde hatte in Occidente fünfhundertdreißig Eingeborene unter seinem Kommando, von denen der Großteil in der Regel unterwegs war und Kautschuk sammelte. Alle zwei Wochen lieferten sie ihre Ernte in der Station ab, dann verschwanden sie wieder vierzehn Tage lang im Busch. Ihre Frauen und Kinder blieben in den Hütten, die außerhalb des Lagers am Flussufer lagen. Velarde kündigte an, die Indios würden zu Ehren des »freundschaftlichen Besuches« der Kommission nachmittags ein Fest geben.
    Er brachte sie zu ihrer Unterkunft, einem zweistöckigen Stelzenhaus, dessen Fenster und Türen mit Fliegengittern versehen waren. Auch in Occidente stank es penetrant nach Kautschuk. Roger war froh, diesmal in einem richtigen Bett schlafen zu können. Oder vielmehr auf einer Pritsche, deren Matratze mit Samenkörnern gefüllt war, aber zumindest würde er sich ausstrecken können. Die Nächte in der Hängematte hatten seine Muskelschmerzen und Schlafstörungen verschlimmert.
    Das Fest begann am frühen Nachmittag auf einer Lichtung unweit des Huitoto-Dorfes. Eine Gruppe Eingeborener hatte Tische und Stühle aufgestellt und Getränke und Töpfe voller Speisen angerichtet. Ernst standen sie

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