Der Traum des Satyrs
die Wogen glätten. Aber irgendjemand hat Misstrauen gegen uns gesät, und zwar sorgfältig und mit Bedacht. Tatsächlich wirft man uns vor, wir hätten ein persönliches Interesse daran, die Dämonen am Leben zu erhalten.«
»Und was sollten wir dadurch angeblich gewinnen?«, fragte Anthony.
Vincent zuckte mit den Schultern. »Frag die Feroce! Abgesehen davon war es ein normaler Tag mit Zornausbrüchen, Chaos und gelegentlichen Momenten des Fortschritts, die immer wieder torpediert wurden. Und hier?«, erkundigte er sich und sah sich im Raum um, um herauszufinden, wo sich die Nebelnymphe aufhielt.
»Nun, ich würde die Situation hier ziemlich ähnlich beschreiben«, meinte Marco.
»Wo ist sie?«, fragte Vincent, und jeder wusste, wen er meinte.
Marco ging zur Salontür und rief: »Cara!«
»Cara?«, wiederholte Vincent.
»Der Name deines Schützlings. Sie hat angedeutet, du selbst hättest ihr diesen Namen gegeben.«
Trotz aller Unbilden dieses Tages musste Vincent schmunzeln. »Nun, ich sollte mich wohl glücklich schätzen, dass sie gerade diesen Kosenamen gewählt hat, unter all denen, die ich ihr vielleicht schon gegeben habe, während wir …«
»Warum schreist du so, Marco?«, fragte Marcos Frau Millicent, die in diesem Augenblick den Raum betrat. Als sie Vincent sah, kam sie lächelnd auf ihn zu und ließ sich zur Begrüßung von ihm auf die Wange küssen. »Willkommen, Vincent! Wo ist Julius? Wir sehen ihn in letzter Zeit so selten.«
»Millicent! Wie ich sehe, bist du früher als erwartet zurückgekehrt.« Vincent warf Marco einen entschuldigenden Blick zu, denn ihm war klar, dass dieser sicher nicht begeistert gewesen war, seiner Frau die Nebelnymphe erklären zu müssen.
»Ja, und wir hatten beide unsere helle Freude an unserem unerwarteten Hausgast«, erwiderte Marco mit einem Gesichtsausdruck, der deutlich machte, dass genau das Gegenteil der Fall gewesen war.
»Sie ist uns gar nicht zur Last gefallen«, versicherte Millicent Vincent höflicherweise, »denn nachdem sie erst die Bibliothek gefunden hatte, hat sie sie nicht mehr verlassen.«
»Wie es scheint, kann sie lesen«, erklärte Landon.
»Interessant!«, meinte Vincent.
»Julius ist nicht mitgekommen?«, hakte Millicent nach.
»Unser Bruder lässt sich entschuldigen. In zwei Tagen wird das nächste Treffen einberufen, und er ist dortgeblieben, um ein paar verdeckte Nachforschungen anzustellen, bis ich zurückkehre.«
»Er ist so oft weg, dass ich langsam vermute, es gibt dort jemanden, für den er zärtliche Gefühle entwickelt hat«, grübelte Millicent.
»Tatsächlich?«, fragte Anthony interessiert.
»Ärgere ihn nicht damit!«, schalt Millicent. »Wenn eine Frau die vielen guten Eigenschaften deines Bruders erkannt hat und er ihre Zuneigung erwidert, solltest du dich vielmehr für ihn freuen. Und, Vincent, ich freue mich, dass du gekommen bist. Ich lasse noch ein Gedeck auflegen.«
»Aber …«, setzte Vincent an.
»Cara!«, rief Marco wieder und setzte damit Vincents Einwand ein Ende, während Millicent sich entfernte. Diesmal erschien die Nebelnymphe, noch bevor ihr Kosename verklungen war, allerdings kam sie eher aus Marcos Arbeitszimmer als aus der Bibliothek.
»Vincent!«, rief sie entzückt aus, als sie ihn sah. Sie lief direkt auf ihn zu, schlang ihre Arme um seinen Nacken und zog seinen Kopf für einen Begrüßungskuss zu sich herab. Bei ihrem Anblick und ihrer Berührung überkam ihn solche Freude, dass er sie automatisch in seine Arme schloss.
Ihr Körper, der sich so weich und nachgiebig an seinen schmiegte, fühlte sich so richtig an, dass Vincent süße Freude erfüllte. Sie war noch immer hier. Noch immer lebendig. Noch immer sein. Und doch war etwas an ihr verändert. Er fasste mit der Hand an ihr Kinn und fuhr mit seinem Daumen über ihre Wange, was ihrer Haut nur einen schwachen Schimmer entlockte. Das Schillern ihrer Haut hatte in den letzten zehn Stunden also stark abgenommen. Sie wurde menschlicher.
Über ihren Kopf hinweg warf er Landon einen Blick zu. Dieser hatte sie beide beobachtet, und in seinen Augen stand dieselbe Erkenntnis.
»Was hast du in meinem Arbeitszimmer gemacht?«, wollte Marco wissen und störte damit ihre Umarmung.
»In meinem Arbeitszimmer«, wiederholte sie und löste sich von Vincent.
»Das macht sie nur, um mich zu ärgern!«, rief Marco wütend. »Wie ich herausgefunden habe, kann sie ganz gut sprechen, wenn sie nur will.«
Plötzlich leuchtete Caras Gesicht
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