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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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durch das Blut eine Beziehung entsteht?«
    » Bilde dir bloß nicht ein, wir beide hätten eine!« Sie hätte ihn nicht beißen dürfen, niemals. Wieso hatte sie sich bloß dazu hinreißen lassen? War es seine Art, sie anzuschauen, dieser Blick, der eine Spur zu vertraulich war? Augen, grau wie Steine, glühend heiß unter der sengenden Sonne. Es fehlte nur noch, dass er Blitze daraus abschoss.
    Es war ein Fehler gewesen, ihn zu beißen. Mit ihm zu reden. Ihn überhaupt anzusehen.
    » Wie nett, dass du alles gleich auf uns beziehst«, sagte er.
    Wieder war sie zu langsam, sonst hätte sie sich rasch genug weggedreht und sein Grinsen verpasst, das so unverschämt wissend war, dass es sie zur Weißglut trieb.
    » Tu ich gar nicht!«, fauchte sie.
    » Nur damit ich dich richtig verstanden habe: Mit dir und Kunun ist es etwas anderes. Womöglich seid ihr Seelenverwandte?«, fragte er spöttisch. » Vermutlich hat er hundert Jahre lang auf jemanden wie dich gewartet? Auf eine Frau, die ihn so liebt, wie er ist?«
    » Du willst uns auseinanderbringen«, sagte Hanna. » Das ist so was von offensichtlich. Aber das wird dir nicht gelingen. Du weißt überhaupt nichts von wahrer Liebe, sonst würdest du es gar nicht erst versuchen.«
    Es sollte höhnisch klingen, doch er war nicht verletzt, sondern zuckte nur mit den Schultern, als wüsste er mehr als sie.
    Frustriert schloss sie die Augen.
    Der Nachmittag wurde noch heißer. Die Stimmen der Menschen wehten davon. Hanna lag da und wartete darauf, sich satt und zufrieden zu fühlen, stattdessen brannte ihr der Geschmack von Mattims Blut immer noch auf der Zunge, bitter und scharf und schwarz wie Kakao. Sie zwang sich, an Kunun zu denken, aber es war zu warm, um sich auf einen einzigen Gedanken zu konzentrieren. Sein Name und sein Gesicht wirbelten davon.
    Mattim, sagte eine Stimme in ihr. Jemand ging durch den dunklen Raum, in dem die Nacht herrschte, mit leisen, ungeduldigen Schritten. Auf und ab und auf und ab. Ein gefangenes Tier, ein Panther, vielleicht auch ein Wolf.
    Mattim, flüsterte die Stimme. Mattim, Mattim, Mattim …
    Hanna merkte, wie er näher heranrückte, wie er sie beobachtete. Sie hielt die Augen fest geschlossen, damit er glaubte, dass sie schlief, obwohl die Bilder in ihrem Kopf verrücktspielten. Dann spürte sie eine leichte Berührung an ihrer Wange, seinen Atem auf ihrer Haut. Er küsste sie doch nicht etwa? Wie konnte er es wagen? Blut gegen Kuss– wäre sie darauf eingegangen, wenn er mit einem solchen Vorschlag gekommen wäre? Auf gar keinen Fall!
    Ohne sich zu rühren, lag sie da und stellte sich schlafend. Mattim küsste sie leicht auf die Wange, und sie spürte seinen warmen Atem auf ihrem Gesicht. Ein Kribbeln lief ihr über die Haut. Sie kniff die Augen fester zusammen und wartete, doch weiter geschah nichts. Als sie sich schließlich aufsetzte, ging er bereits über die Wiese davon, und aus irgendeinem Grund war sie enttäuscht.

18
    WALD, MAGYRIA
    Es kam selten vor, dass Hanna in Kununs Schloss übernachtete, in ihrer eigenen Wohnung hielt sie sich einfach lieber auf. Doch heute… War es das schlechte Gewissen? Sie hatte nicht vor, schuldbewusst angekrochen zu kommen, dennoch war sie ein wenig erleichtert, Kunun nicht anzutreffen. Das gab ihr Zeit, darüber nachzudenken, ob sie ihm von der Begegnung mit Mattim erzählen sollte oder nicht.
    Sie legte sich ins Bett und versuchte es sich gemütlich zu machen, aber der Schlaf wollte nicht kommen. Seifenblasen, Sonne… und er. Wie sollte sie dieses Bild aus ihrem Kopf bekommen? Mattim auf der Wiese unter den Bäumen…
    Plötzlich hatte sie das Gefühl, nicht allein zu sein. Schlagartig war sie hellwach. » Kunun?«
    Alarmiert fuhr sie hoch– und da stand er vor ihrem Bett. Nicht Kunun, nur der alte graue Wolf.
    » Du schon wieder. Was ist es denn diesmal?«
    Er tappte auf sie zu und öffnete das Maul.
    Ungläubig starrte Hanna auf das, was er auf die seidene Decke gelegt hatte. Einen Schlüssel, verschnörkelt, dunkel angelaufen, uralt. Nein, sie hatte keinerlei Zweifel, für welche Tür er bestimmt war.
    Sie wollte schon in ihre Schuhe schlüpfen, als ihr einfiel, wie heimlich er immer tat. Also lief sie barfuß los, und der Wolf rannte neben ihr her. Unwillkürlich fühlte sie sich an ihre Träume von jenem anderen Wolf erinnert, den sie durch das blühende Gras begleitete, der mit Leichtigkeit und Anmut vor ihr hersprang, in spielerischer Kraft und Geschmeidigkeit. Im Traum streckte sie die

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