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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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funkelt und glitzert, wenn es sauber ist. Oh ja, sauber muss es schon sein.« Sie begann das Wasser mit dem Lappen aufzunehmen und wrang diesen über dem Eimer aus.
    Der Wolf wich den Tropfen aus und stakste vorsichtig zu Hanna zurück.
    » Königin Elira, was ist bloß mit Ihnen passiert?«
    Kein Mitleid. Sei stark, hab kein Mitleid.
    Die Königin antwortete nicht. Sie strich sich eine Strähne ihres blonden Haares unter das Kopftuch und fuhr mit der Arbeit fort. Mit raschen, sicheren Bewegungen putzte sie, als hätte sie ihr ganzes Leben lang nichts anderes gemacht, als die Böden der Akinker Burg zu wischen.
    Hanna legte eine Hand auf den Kopf des Wolfes, der wieder zu winseln anfing. Er hörte sich nicht an wie ein Hund oder ein Wolf, sondern wie ein jammernder Mensch.
    » Ich verstehe es ja auch nicht«, murmelte Hanna. » Wie kann das sein? Sie hat den Verstand verloren. Träumt sie nun, dass sie die Königin war, oder träumt sie, dass sie eine Dienerin ist?«
    Die Augen des Wolfs richteten sich auf sie, und etwas blitzte darin auf, eine vorher nicht da gewesene Härte, ein Aufflackern von Zorn.
    » Nicht? Sie hat den Verstand nicht verloren? Glaubst du, sie spielt das nur? Sie tut, als wüsste sie nicht, wer sie ist, damit Kunun sie frei in der Burg herumlaufen lässt?«
    Er starrte sie weiterhin unbewegt an.
    » Also nein. Ihr Zustand ist echt, natürlich. Was ist es dann? Sie weiß nicht mehr, dass sie die Königin ist… das heißt, sie hat das Gedächtnis verloren?«
    » Sprecht ruhig mit diesem Vieh über mich«, beschwerte sich die Putzfrau. » Auch wenn Ihr eine höhergestellte Persönlichkeit seid, nett ist das nicht.«
    » Sie weiß es nicht«, flüsterte Hanna. » Nicht mehr. Wie konnte sie nur alles vergessen? Wollte sie nicht mehr ertragen, was sie uns alles angetan hat? War es ihr zu viel, die Verzweiflung darüber, dass alles verloren ist?«
    Die Augen des Wolfs waren wie Kiesel, hart und rund, dann zog er ganz langsam die Lefzen hoch und entblößte seine Zähne.
    » Die Erinnerung wurde ihr also genommen? Geraubt? Jemand hat ihr die Identität gestohlen? Wie ist das möglich? Man kann doch nicht einfach…« Sie brach ab. Doch, man konnte. Wenn ein Schatten jemanden biss, raubte er ihm mit seiner Lebenskraft immer auch ein Teil von seinem Gedächtnis.
    War vielleicht ein besonders geübter Schatten in der Lage, jemandem nicht nur die letzten Minuten oder Stunden, sondern ein ganz spezielles Stück seiner Identität zu rauben?
    Er hat dich gestohlen, hatte Mattim über Kunun gesagt.
    » Nein«, sagte sie zu dem Wolf. » In dem Fall kann das nicht zutreffen. Erstens, sie ist jemand von hier. Wenn sie gebissen würde, würde sie ein Wolf werden, so wie du. Zweitens, der gebissene Mensch vergisst eine kleine Zeitspanne, höchstens ein paar Stunden. Man kann die Königin nicht so beißen, dass sie nicht mehr weiß, wer sie ist. Dazu müsste man ihr ein paar Jahrzehnte wegnehmen. Ich habe keine Ahnung, wie alt sie ist, aber soviel ich weiß, bleibt die Familie des Lichts besonders lange jung. Diese Frau ist mindestens hundertzwanzig Jahre alt, auch wenn sie aussieht wie fünfzig. Niemand könnte sie so beißen, dass sie hundert Jahre vergisst– und dann auch noch glaubt, sie wäre eine Putzfrau. Bestimmt wäre es einfacher, sie zu hypnotisieren oder so. Ist sie das? Hypnotisiert?«
    Der Wolf hörte ihr sehr aufmerksam zu, und seine Ohren zuckten leicht.
    » Wer würde das tun? Wer würde es wagen, die Königin in eine Dienerin zu verwandeln? Sie ist Kununs Mutter! Er würde niemals erlauben…« Sie ignorierte Eliras Aufstöhnen, als sie über die feucht glänzenden Marmorfliesen ging. » Wer hat Ihnen gesagt, was Sie tun sollen?«
    Mit einem Seufzen betrachtete die Königin Hannas Fußabdrücke.
    » Wer hat Ihnen diese Arbeit gegeben?«
    » Seid Ihr unzufrieden mit mir? Glänzen die Böden nicht genug? Dann solltet Ihr besser gehen, werte Dame, damit ich hier in Ruhe weitermachen kann.«
    » Wissen Sie denn nicht, wer ich bin?«
    Elira musterte Hanna, von den bloßen Füßen bis zu den dunklen Haaren. » Natürlich weiß ich das, ich bin ja nicht dumm. Die Geliebte des Prinzen seid Ihr, Hanna. Ihr wart an seiner Seite in der Zelle… Ihr standet auf der Brücke und habt für ihn gesprochen, bevor die große Dunkelheit kam.«
    » Erinnern Sie sich auch noch an das Boot?«
    Nach kurzem Nachdenken schüttelte die Königin den Kopf. » Da ist etwas… Nein, das war nicht ich. Ich habe es beobachtet,

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