Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
Vom Netzwerk:
noch mal machen. Sieh nur, was du angerichtet hast!«
    » Elira?«, fragte Hanna und trat vorsichtig näher. » Königin Elira?« Sie war entsetzt. Nicht nur weil Kunun ihr verschwiegen hatte, dass seine Mutter in der Burg war, sondern auch weil mit Elira alle bösen Erinnerungen an die Gefangenschaft zu ihr zurückkamen. An den Kerker, die Wachen mit den Fackeln, daran, wie die Stunde der Hinrichtung näher rückte…
    Nein, es gab keinen Grund, Mitleid zu haben. Ob Mutter oder nicht, diese Frau war ihre Todfeindin.
    Allein der Wolf freute sich, sie zu sehen, begeistert leckte er ihr die Hand. Unter der hohen, gewölbten Decke war es schummerig, kein Leuchten ging von der Königin des Lichts aus, trotzdem war Hanna froh, dass sie vor nicht allzu langer Zeit Menschenblut getrunken hatte. Elira war eine reale Gefahr für jeden Schatten.
    » Was tun Sie hier?«
    » Seid Ihr an seiner Stelle gekommen, Prinzessin? Wird der Jäger mich heute nicht besuchen, um mir von der Dunkelheit zu erzählen?« Die sanfte Stimme klang vertraut. » Davon, wie Magyria im Schatten versinkt, wie der Fluss ausblutet, wie der Widerstand der Akinker, die gegen ihren Willen zu Schatten gemacht worden sind, sich im Nichts auflöst, wie alles, woran sie festhalten wollen, dahinschmilzt. Die Wächter hüten und pflegen jetzt die Finsternis. Gibt es denn keine Lichtprinzessinnen mehr, die das Licht wie einen Stern in ihren Händen bewahren?«
    » Was reden Sie da?«, stammelte Hanna, während der Schrecken sich weiter in ihr ausbreitete, als würde ein großer, dunkler Vogel seine Schwingen entfalten. Es war nichts Böses daran, an Kununs Festen teilzunehmen oder das zu tun, was ein Schatten eben tun musste, um nicht unterzugehen– die Zähne in menschliche Haut zu schlagen. Es war natürlich; einem Wolf machte man ebenfalls keine Vorhaltungen, weil er seiner Natur folgte und jagte.
    Elira senkte die Stimme. » Ich träume«, flüsterte sie. » Vielleicht ist auch das hier nur ein Traum. Mir war, ich sei die Königin gewesen. Über der Stadt hing ein Leuchten, und wir tanzten durch die Nächte. Kutschen fuhren über die Brücke, der Prinz ritt auf seinem Pferd durch die Stadt, und die Mädchen winkten… Das gibt es nur im Traum, stimmt Ihr mir da nicht zu? Die Lichtprinzessin sollte an seiner Hand gehen, aber sie ließ ihn los und rannte davon. Oder?«
    » Ich… ich weiß nicht«, stammelte Hanna.
    » Es gibt kein Licht und keinen Tag. Also muss es ein Traum gewesen sein. Ach, wie dumm ich bin!« Sie lachte kopfschüttelnd. » Ich wische die Böden und träume davon, eine Krone zu tragen und dass alle die hübschen Prinzen und Prinzessinnen meine Kinder sind. Verrückt, nicht?«
    Ich habe kein Mitleid, sagte Hanna sich. Sie musste ihn sich mehrmals vorsprechen, diesen einen Satz, der einen Zaun um sie errichten sollte, damit sie nicht schwach wurde. Wenn es nach Ihnen ginge, wäre ich längst tot, wollte sie sagen. Sie haben mich zum Tode verurteilt, ohne mich anzuhören! Das Licht, von dem Sie träumen, hat es nie gegeben. Rauschende Feste, fröhliche Kinder? Die Realität sieht anders aus. Ich war da, im Verlies, ich weiß genau, wie hart und gnadenlos das Licht war, wie eine Sonne, die alles verbrennt, gegen die man sich nur schützen kann, indem man den Schmerz hinaus in die Welt trägt.
    Elira wandte sich ihr zu und erstarrte. » Gehört der Wolf zu Euch? Habt Ihr ihn hergebracht, werte Dame? Dann verzeiht mir meine Frechheit.«
    » Aber wie… wie reden Sie denn mit mir? Warum putzen Sie hier? Sie sind doch die Königin! Warum glauben Sie, dass Sie träumen? Ich dachte…«
    War da nicht ein Boot, irgendwo im Dunkel der Erinnerung? Ein Boot auf dem Donua, während die Stadt von Schreien widerhallte und die Wölfe durch die Straßen huschten. Der goldene Wolf ist da. Ich beuge mich zu ihm hinunter, die Hände auf seinem weichen Fell, und mir ist, als würde ich in seinen Augen versinken, die wie Wolken sind oder wie das Meer unter einem stürmischen Himmel …
    In Eliras Augen dagegen herrschte Leere. Sie war immer noch ein Mensch, durch dessen Blut das Traumleben von Magyria floss. Dennoch war sie verändert, wirkte sie wie eine Schlafwandlerin, eine Fieberkranke, die nicht wusste, was sie da redete.
    » Wovon Ihr bloß sprecht, meine Dame«, sagte die Königin. » Verspottet mich nicht, ich bitte Euch. Ich sorge nur dafür, dass alles schön sauber ist und glänzt und dass sich die Lampen im Boden spiegeln. Das gefällt mir, wenn alles

Weitere Kostenlose Bücher