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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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hat.«
    » Oh Hanna!« Atschorek klopfte sich auf den Oberschenkel. » Du bist herrlich! Wofür hältst du Kunun, für einen Engel?«
    » Jeder kann zum Engel werden, wenn er liebt.«
    Mattim verdrehte die Augen. Kunun? Ja, klar.
    » Und, was ist wirklich geschehen?«
    » Mein Bruder bringt mich um, wenn ich es dir erzähle.«
    » Bestimmt nicht«, sagte Hanna fröhlich.
    » Na schön. Wie gesagt, es ist lange her. Kunun verliebt sich also in diese Schönheit– eine bildhübsche Ungarin, das kann ich dir sagen, dunkelhaarig, mit schwarzen Augen, hach!–, und sie findet ihn natürlich auch nicht übel. Ist dir aufgefallen, wie hübsch alle meine Brüder sind?«
    » Oh ja«, sagte Hanna, und Mattims Herz machte einen Sprung.
    » Kunun war kaum wiederzuerkennen«, erzählte Atschorek weiter, » so hingerissen war er von ihr. Das waren die einzigen Monate seines Lebens, in denen er Akink beinahe vergessen hätte. Tja, und dann machte er einen kapitalen Fehler. Er erzählte ihr, wer er ist. Er dachte, sie liebte ihn so, wie er sie liebte. Er dachte, es sei für die Ewigkeit, sie und er und das Schicksal und blablabla.«
    » Sie hat ihm nicht geglaubt?«
    » Er hat es ihr gezeigt. Mit Beißzähnchen und allem Drum und Dran. Menschen sind leicht zu erschrecken, Hanna. Es kann nicht jeder sein wie du, mit einem Nervenkostüm aus Stahl. Die Gute hat die ewige Liebe und das ganze Gesülze so schnell vergessen, dass meinem Bruder kaum genügend Zeit blieb, sie daran zu hindern, kreischend davonzurennen.«
    » Was hat er getan?«, fragte Hanna atemlos.
    » Was wohl? Er hat sie gebissen. Er hat ihr alles genommen, jede Erinnerung an sich und an die gemeinsame Zeit.« Vorsichtig lugte Mattim um die Ecke. Atschoreks Blick war hart wie Stein, als sie hinzufügte: » Es war fast ein Jahr… Er hat ihr ein knappes Jahr gestohlen. Danach war sie halb tot und ihr Verstand… nun ja, schade um das arme Mädchen. Jedenfalls kann man sagen, dass sie sich nie völlig davon erholt hat.« Sie nippte an ihrem Glas. » Ja, manchmal kann die Liebe tragisch enden.«
    » Von einem Kind hat Atschorek nichts gesagt«, sagte Mirita verdrossen.
    Mattim massierte seine eingeschlafenen Beine und richtete sich stöhnend auf. Atschorek und Hanna waren längst fort, doch er hatte noch eine Weile gewartet, um sicherzugehen.
    » Das muss nicht zwingend etwas heißen«, meinte er. » Kunun erzählt Atschorek sicherlich auch nicht alles. Er ist der Erbe von Magyria, stimmt’s? Wenn ihm etwas zustoßen sollte, ist Atschorek nach ihm die Thronanwärterin. Ein Konkurrent würde ihr ganz gewiss nicht gefallen. Kunun hätte es ihr daher vielleicht verschwiegen. Andererseits– er hat keine Angst vor ihr. Sie würde es nicht wagen, sein Fleisch und Blut anzutasten. Demnach bleibt alles Spekulation. Wir wissen nicht, ob es dieses Kind gibt.«
    Auf der Straße blieb er stehen und blickte zurück zu der düsteren Villa seiner Schwester. Der Asphalt unter seinen Füßen war noch warm von der Hitze des Tages, und über den Gärten lag der schwere Duft von Gras und Staub.
    » Es ist zu wenig«, sagte er, » aber es ist der einzige Plan, den ich habe. Atschorek war nicht bereit, Namen zu nennen, also müssen wir anders vorgehen. Wir brauchen eine Liste von allen Mädchen, mit denen mein Bruder mehr als flüchtig befreundet war. Da ich schlecht mit Kununs Getreuen plaudern kann, musst du dich darum kümmern. Vielleicht hat er seine Geliebten, wenn sie besonders attraktiv waren, seinen Freunden vorgeführt, um mit ihnen anzugeben? Kunun schätzt Inszenierungen sehr.«
    Mirita seufzte. » Und er schätzt es ganz und gar nicht, wenn man in seinen Angelegenheiten herumschnüffelt. Aber es wird sich zweifellos lohnen.« Sie hakte sich bei ihm unter. Im gelblichen Schein der Laterne wogte das helle Haar um ihren Kopf wie Wasserpflanzen in der Flussströmung. » Wir machen das zusammen. Ich befrage die Schatten, die mit Kunun hier gelebt haben, und dann suchen wir die Frauen auf.« Leise fügte sie hinzu: » Wir beide zusammen. Weißt du noch, wie wir gemeinsam Wache geschoben haben, um herauszufinden, wie die Schatten in den Wald gelangen? Wie wir gegen den Willen des Königs Pläne geschmiedet haben? Es wird sein wie früher, als wir hinter das Geheimnis der Höhlen kommen wollten und du Kununs Pforte entdeckt hast.
    » Nein«, erwiderte Mattim. » So wird es nie wieder sein.«

24
    BUDAPEST, UNGARN
    Mattim brauchte nicht zu klingeln, die Wohnungstür stand offen. Im

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