Der Traum des Schattens
bringen, ihn anzufassen. Ihre Gesichter zeigten ihre Entschlossenheit. Wenn jeder dieser Männer und Frauen fühlte, was er fühlte, würden sie ihren geballten Schmerz, ihre Trauer und ihre Wut über Akink entladen.
Mit gesenktem Kopf ging Farank ihm nach. » Falls wir uns nicht wiedersehen…«
Mattim musste schlucken. » Das werden wir. Wenn nicht, wirst du sie anführen müssen.«
» Sie brauchen nicht mich, sondern dich. Du bist derjenige mit den Visionen. Du hast immer gewusst, was das Licht zu tun hat.«
» Es ist das Ende, und genau aus diesem Grund braucht Magyria dich, Vater, selbst wenn du nichts weiter tun kannst, als tröstende Worte an dein Volk zu richten. Wir werden diesen Kampf kämpfen, auch wenn es zu spät ist. Weil es zu spät ist. Weil es das ist, was das Licht tun würde.«
Farank sah ihn liebevoll an. » Du hast es nie verloren«, sagte er leise. » Du wirst immer der Prinz des Lichts sein, egal wie groß die Dunkelheit sein mag. Ich würde diese Stadt in deine Hände legen, wenn ich könnte, dir die Krone aufs Haar setzen und dir den Königsmantel umlegen. Ich wüsste, Magyria könnte in keinen besseren Händen sein als in deinen.«
Mattim lächelte schmerzerfüllt. » Der Thron wird brennen, und die Krone wird ein Ring aus Feuer sein.«
Solta und Wikor begleiteten ihn zu den Pferden. Zehn Tiere hatten sie einfangen können, alle unruhig, Wildheit loderte in ihren Augen. Sie schienen zu wissen, dass die Zeit endlich gekommen war.
» Ich würde Euch zu gerne helfen, mein Prinz«, sagte Solta. » Wenn ich nur eine Idee hätte, wie.«
Mattim nickte ernst. » Ja, ich weiß. Danke. Aber das hier muss ich allein durchstehen.«
Solta senkte die Stimme. » Ich werde versuchen«, flüsterte er, » das Mädchen da rauszuholen. Allein, durch die Pforten.«
» Nein«, sagte Mattim. » Nein, mein Freund. So schwer es mir auch fällt. Kunun muss glauben, dass wir aufgegeben haben. Trotzdem ist sie noch nicht ganz verloren. Wenn irgendjemand Réka retten kann, dann Hanna.«
Hanna zwang sich, den Blick nicht abzuwenden. Réka auf den Knien, klein und verschreckt. Vorhin im Wald hatte sie so mutig und trotzig getan, jetzt hingegen war sie völlig zusammengebrochen, sie wirkte verängstigt und unglaublich jung. Wie konnte Kunun sie da noch verhöhnen?
» Magdolna hat mich erkannt und ausgelacht. Kleiner Bruder bringt den Sieg, ha!«, murmelte er. » Kleiner Bruder bringt den Sieg. Es war keine Prophezeiung, sondern ein Fluch. Wie konnte sie wissen, dass ich einen jüngeren Bruder habe? Ich habe ihr meine Geschwister vorgestellt, als ich mit ihr zusammen war. Bela und Wilder sind zwar jünger als ich, aber wer hat sie jemals als meine kleinen Brüder bezeichnet? Mattim war damals noch gar nicht geboren. Wie hat sie von ihm erfahren, wenn sie keine Hellseherin war? Woher wusste sie, dass ich einen neuen Bruder hatte, als wir uns wiedersahen? Hatte Magdolna Kontakt zu anderen Schatten? Hat Atschorek sie besucht und ihr irgendwelche Geschichten erzählt?«
Réka schrumpfte unter seinem finsteren Blick zusammen.
» Ihretwegen habe ich mich zum Affen gemacht. Ich habe den Tag der Prophezeiung rot im Kalender angestrichen, meinen persönlichen Feiertag daraus gemacht! Ha!« Er war aufgestanden und tigerte unruhig durch den Saal. Als er an Réka vorbeikam, versetzte er ihr einen heftigen Fußtritt.
Hanna ging auf ihn zu, darum bemüht, den reglosen, kühlen Gesichtsausdruck beizubehalten. War auch Atschorek so gewesen? Eine Schauspielerin?
» Mein Lieber«, sagte sie. » Reg dich nicht so auf. Réka ist bloß ein dummes Kind, und sie wusste nicht, wer Magdolna war.«
Mattim hat die Alte getötet, hatte Kunun gesagt und dabei geweint. Er hatte sie im Arm gehalten und geweint. Warum dann jetzt diese Wut? Wieder verknäulten sich die Fragen in ihrem Bauch, verkrampfte sich alles. Sie brauchte Zeit, musste ihn hinhalten, nachdenken.
» Mein Geliebter, bitte verdirb uns diesen wundervollen Abend nicht. Du hast deinen Feinden eine schlimme Niederlage zugefügt. Wollten wir nicht tanzen? Nur wir beide, zu Musik bei Kerzenschein. Willst du die Luft in diesem Saal mit dem Gestank von brennendem Fleisch verpesten? Willst du darauf verzichten, deinen Anhängern zu zeigen, wie du Aufsässige bestrafst oder wie du gnädig bist, ganz nach Belieben?«
Er lehnte seine Stirn gegen ihre. » Ja«, sagte er leise. » Du hast recht. Du bist so schön, meine Liebste, schön wie die Nacht. Ja, lass uns tanzen.«
Die
Weitere Kostenlose Bücher