Der Traum des Schattens
sie aufgeschichtet und ihn angezündet. Durch die Flammen konnte sie nicht fliehen, und Réka war nie gut darin gewesen, durch Mauern zu gehen. Im Erdboden zu verschwinden war für sie gar ein Ding der Unmöglichkeit.
» Diesen Anblick sollte man festhalten«, sagte Hanna munter. » Ich werde die Kamera holen.«
» Tu das«, meinte Kunun, » wenn es dir Freude macht.«
» Hanna!«, schrie Réka verzweifelt, aber Hanna wandte sich ab und stolzierte davon.
Die Leica befand sich in ihrer Wohnung im dreizehnten Bezirk, und der Weg dahin war ihr noch nie so lang vorgekommen. Da der Film fast voll war, schoss sie blind das letzte Foto. Als Bartók ihr die Leica gebracht hatte, waren mindestens zwanzig Bilder darauf gewesen. Auf einer Digitalkamera hätte sie sich die älteren Bilder anschauen können, so jedoch musste sie warten, bis der Film entwickelt war. Im Fotogeschäft drängelte sie sich rücksichtslos vor.
» Wie schnell kann ich die Fotos haben? Haben Sie ein eigenes Labor?«
Den Vierundzwanzig-Stunden-Service schlug sie mit einem verächtlichen Lachen aus. Am Ende half sie mit ein paar Scheinen nach.
» Zwei Stunden.«
» Gut«, sagte sie. » Das ist akzeptabel.«
Die Wartezeit wollte sie nutzen, um Attila zu holen. Er vertraute ihr und würde sicher mit ihr kommen– in den tödlichen Krieg zwischen Licht und Finsternis.
30
JASCHBINIAD, MAGYRIA
Furchtlos stürmten die Pferde über die Holzbohlen der schwankenden Brücke. Sie schaukelte immer stärker hin und her, doch keines der wahnsinnigen Schattenrösser ließ sich davon beirren. Sie schrien, wie es kein gewöhnliches Pferd jemals tun würde, aus purer Lust an der Gefahr und der atemberaubenden Geschwindigkeit. Breitbeinig stand Mattim auf Weiras’ Rücken und dem eines weiteren Rappen. Er konnte nichts tun, außer das Gleichgewicht zu halten, während die Brücke in weiten Pendelbewegungen zu schwingen begann. Die Pferde mussten ihn retten, sie mussten damit fertigwerden, und da es Schattenpferde und damit Wesen waren, die den Tod in sich trugen, galoppierten sie unbekümmert dem Verderben entgegen.
Bald tauchten sie in die Wolken ein und näherten sich der Stadt, die wie eine gigantische Wabe über ihnen aufragte. Mattim zweifelte nicht daran, dass die Jaschbiner ihn bereits bemerkt hatten. Als ein Regen Pfeile auf ihn und die Rösser niederprasselte, sah er seinen Verdacht bestätigt. Einer der Grauen brüllte zornig auf, und der mittlere geriet kurz ins Straucheln, doch da sie so eng nebeneinander herliefen, fing der Hengst sich wieder. Mattim verspürte kurz einen heftigen Schmerz im Arm, ein weiterer Pfeil ragte aus seiner Brust. Er konnte es sich leisten, beide zu ignorieren, denn Bartók hatte ihn in weiser Voraussicht mit einer kugelsicheren Weste versorgt.
Mattim wollte diese Menschen beeindrucken, aber er hatte durchaus damit gerechnet, dass sie sich gegen die einsame Eroberung zur Wehr setzten. Freundlichkeit gehörte nicht zu den hervorstechendsten Eigenheiten der Jaschbiner.
Die Stadt wuchs in die Höhe und in die Breite. Wie ein riesiges Maul öffnete sich das Tor im dunklen Fels, wo ein paar Gestalten hin und her huschten. Wieder regnete es Pfeile, und dann zogen sie den Hebel, der die letzten Meter der Brücke fortriss.
Es war zu spät, um anzuhalten. Die wild vorwärtstürmenden Pferde waren durch nichts zum Stehen zu bringen. Blindlings rasten sie auf den Abgrund zu.
Mattim umfasste die Leinen fester und duckte sich. » Springt!«, schrie er den Pferden zu, im Vertrauen darauf, dass sie jedes Wort verstanden. » Springt! Eins, zwei– und drei!«
Tatsächlich erhoben sie sich in die Luft, segelten über die Lücke hinweg und kamen auf der anderen Seite auf. Die beiden Rappen griffen zu kurz, die Hinterbeine rutschten ihnen weg, und Mattim warf sich nach vorne. Mit einem Ruck zogen die Grauen ihre schwarzen Gefährten über die Kante, und als wäre nichts geschehen, galoppierten sie kurz darauf durch den steinernen Bogen. Ein paar Wächter traten ihnen in den Weg, ein Fehler, denn die Pferde überrannten die Männer einfach.
» Der Prinz!«, rief jemand. » Es ist der Prinz!«
Die ungarische Post jagte die gewundene Straße entlang, die in den Fels hineinführte und sich immer höher schraubte. Steine stoben unter den donnernden Hufen, als sie die Stufen hinaufsprangen und durch einen dichten Vorhang funkelnder Kristalle in die Tropfsteinhöhle des Fürsten stürmten. Hier ging es nicht weiter.
Die Grauen schrien vor
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