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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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zu kichern, und schließlich lachte sie und lachte und konnte nicht damit aufhören, bis ihr Tränen über die eine Wange liefen, die ihr geblieben war.

29
    AKINK, MAGYRIA
    Die Schatten führten Réka über die Brücke, vorbei an dem mächtigen steinernen Löwen, der nicht hierhin gehörte. Er hatte das Maul aufgerissen, als schnappte er nach Luft, wie ein Ertrinkender in der Dunkelheit. Selbst die Löwen gehörten ins Licht. Die letzten Lichtfetzen hingen wie Nebelschwaden über der Wasseroberfläche.
    Die Stadt lag vor Hanna wie eine alte Bekannte, dunkel und still und doch unruhig. Mattim war bestimmt längst tot, und gleich würde sie Réka sterben sehen.
    Wie seltsam sie sich fühlte. Sie ging dahin, ohne zu spüren, dass sie ging. Sie schritt an Kununs Arm, aber sie war zu weit fort, um ihn wahrzunehmen. Alle Dinge waren gleichzeitig nah und fern.
    Lügner, Betrüger, Mörder.
    Rékas wilde, zornige Anklagen.
    Kunun hat Mária getötet. Wie konnte er das nur tun? Sie hätte das Licht nach Magyria gebracht und alle Schatten vernichtet, oder? Was, wenn sie uns geheilt hätte, wenn das Licht eines Menschen meiner Welt so stark wäre, dass wir alle wieder lebendig werden? Weil das Licht die Wunden schließt, die von der Finsternis geschlagen wurden.
    Was sollte sie glauben? Wem?
    Réka war außer sich gewesen, was nicht gerade ihre Glaubwürdigkeit untermauerte. Sie war geradezu blind vor Hass. Sprach die Eifersucht aus ihr? Versuchte sie bloß, Hanna von ihm zu trennen?
    » Mária war gar nicht dein Enkelkind. Du hättest das nicht tun müssen«, sagte sie zu Kunun.
    » Sie hätte es aber sein können. Das hat mir genügt.«
    » Du würdest dein eigen Fleisch und Blut umbringen?«
    » Warum nicht? Wenn sogar der König des Lichts seine eigenen Kinder töten kann, sofern sie auf der falschen Seite stehen, warum sollte ich es da nicht können?«
    Er leugnet nicht einmal, dass er das Messer geworfen hat. Es flog wie ein schwarzer Pfeil, tödlich, zielsicher, in den Rücken einer Fliehenden.
    Einer Fliehenden!
    Die Wächter bahnten ihnen den Weg durch die Straßen, in denen ganze Häuserzüge verschwunden waren. Es war, als wateten sie durch Leere.
    » Wo ist Atschorek?«, fragte Kunun. » Warum ist sie nicht hier? Wo ist Mattim?«
    Über den Marktplatz huschten ein paar einsame Gestalten. Es gab weder eine Versammlung noch herbeiströmende Schatten, die der Urteilsvollstreckung beiwohnen wollten.
    » Verdammt!«, brüllte der Schattenkönig. » Wo sind sie?«
    Réka gönnte sich diesen kleinen Triumph. » Mattim ist nicht hier. Hat er dich wieder mal an der Nase herumgeführt? Oh, wie mich das freut! Was machst du jetzt? Na, das will ich sehen.«
    Kunun hob die Hand zum Schlag, aber Hanna hielt seinen Arm fest. Sie quälte sich ein Lächeln ab. » Reg dich doch nicht so auf über die Kleine«, sagte sie.
    Er nickte, und die Kraterlandschaft seines Gesichts zuckte.
    » Bewacht sie«, befahl er den Wachen. » Wenn sie auch noch verschwindet, reiße ich euch eigenhändig die Haut vom Leib und übergieße euch mit brennendem Öl.« Er wandte sich an Hanna. » Ich werde mich jetzt umziehen, an mir klebt immer noch Blut. Lass uns gleich im Thronsaal zusammenkommen. Bis dahin ist Atschorek mit ihrem Gefangenen hoffentlich eingetroffen. Sobald wir das Problem erledigt haben– vielleicht feiern wir heute Abend wieder ein Fest, was meinst du? Nur wir beide, mit Musik und Kerzen. Wir könnten tanzen.«
    » Ja«, sagte Hanna. » Nichts lieber als das. Soll ich das rote Kleid anziehen oder das schwarze?«
    » Das rote.«
    » Dann tue ich das.« Vielleicht war sie doch wie Atschorek oder fast, denn es gelang ihr tatsächlich, das Gesicht zu einem kühlen, fast spöttischen Lächeln zu verziehen, obwohl sie innerlich fast umkam.
    Wer ist er? Genauso schmerzhaft quälte sie die zweite Frage: Und wer bin ich?
    Sie rannte so schnell sie konnte in ihr Zimmer und holte das rote Kleid hervor. Vor dem Spiegel ordnete sie ihr Haar. Nach so einem Lauf hätte sie verschwitzt aussehen müssen, mit geröteten Wangen, die Augen voller Tränen und Angst. Doch die junge Frau, die ihr entgegenblickte, war kein Mensch, war nicht atemlos, angetrieben von einem hämmernden Herzen. Ihr Gesicht war nicht fleckig, keine Tränen oder Schweißperlen waren zu sehen. Ihre Haut wirkte wie aus Porzellan. Das dunkle Haar, schwer und glatt, fiel ihr über die Schultern, nur ein paar vorwitzige Strähnen kringelten sich über ihren Schläfen. Eine Fremde, das

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