Der Traum des Schattens
war Kununs Braut.
Ich wollte sein wie Atschorek? Sieh hin, so bin ich.
Noch einmal überprüfte sie ihr Gesicht. Wie wenig es verriet. Selbst wenn sie Mattim hängten, selbst wenn Réka, die wie eine Schwester für sie war und einst verbunden mit ihrer Seele, vor ihren Augen verbrannte, würde sie aussehen wie jetzt– kühl und gelassen.
Kunun würde ihr glauben, dass es ihr nichts bedeutete.
Sie setzte das perfekte Lächeln auf und ging hinunter in den Thronsaal.
Kunun räkelte sich lässig auf seinem Königssessel, dennoch spürte sie seine Anspannung sofort. Sein Blick glitt über sie hinweg. » Wie passend für diesen Anlass. Bezaubernd siehst du aus«, sagte er anerkennend.
» Ist Atschorek noch nicht da?«
» Nein«, knurrte er. » Sollte es Mattim wirklich gelungen sein, ihr zu entwischen?«
» Selbst wenn«, meinte sie. » Was kann er jetzt noch ausrichten? Es gibt kein Lichtkind. Oder hat Atschorek irgendwo einen Sprössling versteckt, und sie sind beide losgezogen, um ihn zu holen?«
Damit riss sie ihn endlich aus seiner Grübelei. » Atschorek hasst Kinder.« Er gab den Wachen einen Wink. » Schafft Réka her. Bringen wir die Sache zu Ende, es macht mir keinen Spaß mehr.«
Hanna biss die Zähne zusammen. Sie würde nichts sagen, kein Wort, kein einziges. Nicht bevor sie endlich sicher war, was hier gespielt wurde. Und dafür brauchte sie Zeit.
Als die Wachen Réka hereinführten, fiel ihr Blick zuerst auf Hanna. Sie stand neben dem Thron, in einem eng anliegenden roten Kleid, über dem ihr waldbraunes Haar fast schwarz wirkte. Ihr Gesicht war unbewegt, als könnte nichts sie erschüttern. Atschorek war nicht da, aber darüber konnte Réka sich nicht freuen. Kunun hatte eine neue Atschorek gefunden. Hanna hätte ihre Doppelgängerin sein können.
» Stellt sie dorthin«, befahl er. » Ihr könnt gehen, mit der werde ich allein fertig.«
Die Wächter stießen das Mädchen auf die Knie. Würde sie mit diesem Anblick vor Augen sterben– der Thron, auf dem Kunun saß und König war über ganz Magyria?
» Ach, Réka«, sagte Kunun sanft. » Ich habe dir so oft verziehen, weil ich dich für wichtig gehalten habe. Vorhin erst habe ich erfahren, dass du völlig überflüssig bist, meine Liebe– genauso überflüssig wie Mattim. Es gibt keine Prophezeiung, es gab nie eine, und weder die Szigethys noch kleine Brüder haben irgendetwas mit meinem Triumph zu tun. Nur ich, nur das, was ich plane und beschließe. Es geschieht, was ich will. Das ist das ganze Geheimnis. Kleiner Bruder bringt den Sieg? Szigethy-Blut? Das alles hat keinerlei Bedeutung. Es war ein Fluch, aber ich habe ihm getrotzt. Ich habe ihm meinen Triumph abgerungen. Die alte Hexe hat nicht recht behalten. Es war Magdolna, bloß die alte Magdolna. Was hab ich nicht alles getan, weil ich ihr geglaubt habe. Sie war eure Putzfrau, sonst nichts!«
Réka verstand nicht, wovon er redete. Fieberhaft hielt sie nach einem Fluchtweg Ausschau. Gab es hier eine Pforte? Würde es ihr gelingen, durch die Wände zu gehen? Sicher war er schneller als sie. Und dann war da auch noch Hanna. Was würde Hanna tun?
Farank schüttelte den Kopf.
» Du hast sie nicht gefunden?«, fragte Mattim.
Dann war es eben so. Atschorek würde allein sterben, irgendwo im Gebüsch. Es tat weh, aber nicht so weh wie die Erkenntnis, dass mit ihrem Tod das Ende von allem begann.
» Alles zerbricht«, flüsterte der König des Lichts. » Die Dunkelheit kommt, und niemand kann sie mehr aufhalten.«
Es gab nichts mehr zu retten. Akink würde zerfallen, und nach und nach würde alles in Budapest landen: Häuser, Straßen, die Burg, die Bäume. Mattim sah vor sich, wie der Wald durch Häuser und Autos wuchs, Straßen überwucherte, wie Ziegelsteine auf den Verkehr prasselten. Und die Burg? Würde sie, groß wie sie war, völlig in sich zusammenstürzen und das schöne Burgviertel in Pest unter sich begraben? Wie viele Menschen würden sterben, wenn hier alles zerbrach?
» Das arme Mädchen«, sagte Farank. Im ersten Moment dachte Mattim, er spreche von Atschorek, dann fiel ihm ein, dass die kleine Szigethy bestraft werden sollte, weil sie ihm geholfen hatte.
» Réka«, murmelte er nachdenklich. » Wie viel Zeit sie wohl noch hat?«
Farank runzelte die Stirn. » Was hast du vor? Wollen wir alle zusammenrufen und sie aus der Burg herausholen?«
Mattim sah sich um. Die Flusshüter, die sich zwischen den Bäumen versammelt hatten, flüsterten miteinander. Es waren viele,
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