Der Traum des Schattens
Mensch, vergiss das nicht. Hauptsache, du zögerst nicht.«
Sie nickte und befestigte den Dolch mit der Lederscheide an ihrem Gürtel.
» Ich verlasse mich auf dich«, sagte Kunun.
Dann kehrte sie zu Mattim zurück. » Gehen wir«, sagte sie. » Rasch, bevor er es sich anders überlegt.«
Auf einen kurzen Pfiff tauchte das Pferd zwischen den Säulen wieder auf. Mattim schwang sich in den Sattel, hob Hanna zu sich herauf und ritt mit ihr aus dem Saal.
In den Straßen tobte noch immer der Kampf, doch wenigstens schoss niemand mehr mit brennenden Pfeilen. Die Rebellen waren auf dem Rückzug, und Mattim überholte die Krieger, die davonstrebten. Seltsame Blicke trafen sie, den Anführer des Lichts und die junge Frau, die bei ihm war. Mattim sagte kein Wort, bis sie fast aus der Stadt waren. Als sich die Brücke vor ihnen über den Fluss wölbte, sprang er vom Pferd.
In der Nähe brannte eine ganze Häuserreihe, und die flackernden Flammen warfen ihren Schein auf sein Gesicht. Etwas in Hanna flatterte– vielleicht ihr Herz, das Flügel bekam und doch klein und verzagt und unsicher war. Mattim kannte sie so viel besser als sie ihn. Was wusste sie schon über ihn? Sie besaß nur die Bilder von Staub und Sonne und Pferden. Nichts weiter als die Momente, in denen er ihr erlaubt hatte, ihn zu berühren.
» Hier ist eine Pforte, lass uns nach Budapest gehen. Wo beginnen wir mit der Suche? Ich nehme an, du hast die Wohnung und das Haus der Szigethys bereits überprüft?«
» Natürlich. Ich hatte gehofft, du hättest eine Idee.«
Ein Schritt durch die Pforte, und über ihnen wölbte sich der dunkle Himmel von Budapest. Die Stadt war fast so grau wie Akink, nur noch lange nicht so zerstört. Auch in diese Umgebung fügte Mattim sich hinein, mehr als Hanna, die sich in ihrem Schattendasein fremd fühlte.
» Was ist?«, fragte er leise. » Warum siehst du mich so an?«
» Du bist alles, was ich jemals wollte.«
Er grinste jungenhaft. » Sag ich doch.«
» Angeber! Kunun hat mir einen Dolch gegeben, mit dem ich dich töten soll. Vielleicht wäre jetzt der richtige Moment?«
» An deiner Stelle würde ich damit warten, bis wir den Jungen haben. Ich kann es immer noch kaum glauben. Was ist ein größeres Wunder– dass du mich wieder liebst oder dass es ein Lichtkind gibt? Gib mir dein Handy.«
» Was hast du vor?«
» Ich rufe jemanden an, der uns weiterhelfen kann.«
» Dir ist klar, dass Kunun uns verfolgen lässt, oder? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er es mir allein überlässt, dich und Attila zu erledigen.«
» Ja«, sagte er. » Das ist mir klar.« Mattim schaute sie liebevoll an, das Telefon am Ohr. Dann wandte er sich seinem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung zu, und sein Gesicht wurde schlagartig ernst. » Wir kommen sofort.«
» Was?«, fragte sie.
» Bartók. Er weiß, wo Attila steckt, da er bereits auf die Spur gesetzt worden ist, von Goran. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte lautet: Kunun hat ebenfalls davon erfahren und ist ihm dicht auf den Fersen. Wir müssen uns beeilen. Sie sind draußen auf dem Land. Wir gehen jetzt zurück nach Akink und werden auf der magyrianischen Seite bleiben, bis wir gefahrlos wechseln können. Falls es keine Pforten dort gibt, müssen wir ein paar Schattenwölfe mitnehmen.«
» Du würdest jemanden beißen lassen, um einen Übergang zu schaffen?«
» Ich habe die komplette Flusswache verwandeln lassen, um Akink zu erobern«, erwiderte er. » Warum sollte ich jetzt zögern, wenn ich ganz Magyria retten kann?« Er senkte die Stimme, als er hinzufügte: » Es tut mir in der Seele weh. Jedes Unrecht, das ich begehe, ist ein Schritt in die Dunkelheit, für das Licht. Dass ich mir immer wieder sage, ich hätte keine Wahl, ist ein schwacher Trost. Es ist nicht leicht, sich selbst zu belügen.«
» Das ist keine Lüge«, meinte sie, aber er lachte nur bitter.
» Man hat immer eine Wahl. Die Mittel der Dunkelheit zu nutzen, auch das ist ein Krieg gegen das Licht. Ich weiß nicht, wie viel Licht in mir noch übrig ist, sollte ich jemals wieder ein richtiger Lichtprinz werden. Wie könnte es noch Bestand haben, bei all den dunklen Flecken?«
Sie versuchte nicht, ihn zu trösten. Er hatte recht, doch auch das war etwas an ihm, das sie liebte– die Bereitschaft zu handeln, selbst wenn alles, was er tun konnte, falsch war, falsch sein musste.
Sie kehrten nach Akink zurück, wo das Pferd geduldig auf sie wartete und bei Mattims Anblick ein erfreutes
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